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Barock – mon amour Warum sich Hirst, Richter und Co. Inspiration im Barock holen

Die zeitgenössische Kunst hat viel Barockes. Motive wie Totenköpfe, die an «Memento mori» erinnern, oder auch hedonistische Szenen finden sich in ihr wieder. Doch warum? Eindeutig ist: Parallelen im Zeitgeist von heute und damals gibt es einige.

Was haben die zeitgenössischen Künstler Damien Hirst, Urs Fischer und Gerhard Richter gemeinsam? Ihre Kunst strotzt nur so vor Barock. Dies klingt im ersten Moment nach einer platten Behauptung. Doch tatsächlich gibt es in ihren modernen Werken unmissverständliche Parallelen zu dieser längst vergangenen Epoche. Diese Parallelen sind nicht zufällig, wenn man den Zeitgeist von damals und heute vergleicht.

«Memento mori» und «carpe diem»

Der Barock war gekennzeichnet als Krisenzeitalter, geprägt von Glaubenskriegen, Naturkatastrophen, Seuchen und Ungewissheit. Es herrschte Endzeitstimmung und «memento mori» – bedenke, dass du stirbst – war kollektiv verankert.

Als Folge daraus bestimmte das Motto «carpe diem« – nutze den Tag – die Lebenseinstellung der Menschen. Die wenigen, die es sich leisten konnten, führten ein Leben in umso grösseren Überschwang und setzten es mit Pracht und Schönheit in Szene.

Inszenierte Üppigkeit in Zeiten der Krise

Als Epoche des Widerspruchs gehörte zum Barock denn auch der Kontrast zwischen Lebenssucht und -flucht, Fest und Vergänglichkeit, Erotik und Religion. Gegensätze, welche dem heutigen Zeitgeist ganz und gar nicht fremd sind. Der Hedonismus und die Repräsentation der damaligen Oberschicht erinnern stark an heutige Strukturen in der Wirtschaft und den Umgang mit Ressourcen.

Während in den Anfängen des Barock der Dreissigjährige Krieg (1618-1648) einen Schatten auf das Lebensgefühl und alles Schaffen warf, sind es heute die Schrecken des 20. Und 21. Jahrhunderts, welche den Menschen tagtäglich an seine Sterblichkeit erinnern.

«Viel Lärm um Alles»

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Barbara Zürcher über Terry Rodgers
Aus Kultur Extras vom 18.10.2014.
abspielen. Laufzeit 46 Sekunden.

Angesichts dieser Ähnlichkeiten erstaunt es also nicht, dass «neobarocke Tendenzen» seit einiger Zeit üppige Blüten in der zeitgenössischen Kunst treiben. Barbara Zürcher, Direktorin am Haus für Kunst Uri, kuratierte 2011 zusammen mit Bruno Z’Graggen die Ausstellung «Viel Lärm um Alles – Barockes in der zeitgenössischen Kunst».

In der Ausstellung sollten «barocke Darstellungsweisen in der modernen Kunst gezeigt werden», so Barbara Zürcher. Dies gelang durch internationale Topshots wie Terry Rodgers oder Mat Collishaw, aber auch durch viele Schweizer Künstler wie Stephan Melzl, Sonja Alhäuser oder Monica Ursina Jäger.

«Deftig Barock»

Ein Jahr später, 2012, fand im Kunsthaus Zürich die Ausstellung «Deftig Barock» statt. Die Kuratorin Bice Curiger verfolgte einen etwas anderen Ansatz. Kunst aus der Gegenwart wurde Bildern aus dem 17. Jahrhundert entgegengestellt.

Man wollte sich bewusst von Klischees distanzieren. «Es ging nicht um Pomp, Schnörkel und Gold, sondern um sogenannte Manifeste des prekär Vitalen – gelebte, wiedererkannte und durch den Tod bedrohte Vitalität», so Curiger. So waren unter anderem zeitgenössische Werke von Cindy Sherman und Urs Fischer zusammen mit Werken von Bartolomeo Passerotti (1529-1592) und Francisco de Zubaràn (1598-1664) zu sehen.

Barock und Kitsch, eine Analogie?

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Warum sich Künstler vom Barock inspirieren lassen
Aus Kultur Extras vom 18.10.2014.
abspielen. Laufzeit 31 Sekunden.

«Der Barock spielt mit dem Kitsch», sagt Barbara Zürcher. In der Kunst sind es «die fetten, lächelnden Putten, welche umgeben sind von Gold und Farben. In Mode und Architektur ist es die üppige und fast schon verschwenderische Darstellungsweise welche vor Selbstvertrauen nur so strotzt.»

Diese Handschrift nehmen heute zeitgenössische Künstler wie Jeff Koons oder David LaChapelle bewusst in ihre Arbeit auf und stellen sie in einen modernen Kontext. Das Resultat: Kitsch in seiner Höchstform.

Barock liegt im Auge des Betrachters

Kuratoren, welche sich heute mit dem Barock auseinandersetzen, sprechen jedoch von einer Tiefe, welche dem Kitsch fehlt. Barbara Zürcher: «Es ging damals um das Beeindrucken der Gläubigen. Mit dieser drastischen Lichtführung, der Farbenpracht und dem Monumentalen wollte man auf die Schönheit des Lebens hinweisen. Heutiger Kitsch ist da viel Banaler gestrickt.»

Die Interpretation des Barocken in der zeitgenössischen Kunst liegt wohl tatsächlich im Auge des Betrachters. Deshalb empfiehlt es sich, den Versuch mit den genannten Künstlern, von Gerhardt Richter bis Urs Fischer, am besten selber zu machen.

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