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Die Zürcher Prozesse Der erste Prozesstag: Pressefreiheit gegen Prangerjournalismus

Im Theater Neumarkt steht die «Weltwoche» vor Gericht. Die Anklage, die das Blatt unter anderem wegen «Schreckung der Öffentlichkeit» verurteilen möchte, hat am ersten Prozesstag ihre Argumente vorgelegt. Es brauche eben auch Zeitungen, die Unbequemes schreiben, antwortete die Verteidigung.

Die Richterin sortiert mit ernster Miene ihre Akten, die Referenten der Verteidigung stecken die Köpfe zusammen und beraten ihre Taktik. Die Redner der Anklage notieren sich für ihr Plädoyer noch die letzten Argumente. Alles ist an diesem Abend wie in einem echten Gerichtssaal, doch der Prozess selbst ist es nicht, er ist Theater.  

Am 3. Mai 2013 um 19 Uhr 15 startete im Zürcher Theater Neumarkt der Auftakt zu den «Zürcher Prozessen». Eine Produktion des Regisseurs Milo Rau die in den nächsten drei Tagen «Die Weltwoche» von Verleger Roger Köppel zum Verhandlungsthema hat.

Auf der Bühne ist ein Tribunal nach amerikanischem Vorbild eingerichtet worden: Vorne sitzen als Richterin die Verlegerin Anne Rüffer und neben ihr der ehemalige Bundesrichter Giusep Nay als Rechtsexperte. Zu ihrer Linken warten mit Rechtsanwalt Marc Spescha und Schriftsteller Robert Misik die Vertreter der Anklage auf ihren Einsatz. Milieuanwalt Valentin Landmann und SVP-Kantonsrat Claudio Zanetti referieren für die Verteidigung. Gegenüber steht eine Art Zeugenstand, wie man ihn aus US-Filmen kennt. Daneben sitzen die Geschworenen, die am Sonntag das Urteil zu fällen haben.

«Die Weltwoche» als Wunder

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Regisseur Milo Rau macht der «Weltwoche» den Prozess. (Dagmar Walser, 4.5.2013)
01:36 min
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Erster Redner des Eröffnungsabends ist Jürg Ramspeck, einst Chefredaktor der «Weltwoche». Es sei ein «medienhistorisches Wunder», dass diese 1933 gegründete Zeitschrift, die verschiedene politische Kurswechsel erlebte, bis heute überlebt habe, sagt der Journalist. Schmunzler aus dem Publikum erntet er, als er erklärt, dass schon in der Vergangenheit nicht immer der- oder diejenigen Besitzer der Zeitung gewesen seien, den die Öffentlichkeit dafür gehalten habe.

Der Medienwissenschaftler Kurt Imhof ebnet darauf mit einer vehementen Kritik an der «Weltwoche» das Terrain für die Anklage. Die Zeitschrift betreibe heute einen «Etikettenschwindel»,  erklärte er. Vordergründig gebe sie sich «liberal», arbeite aber gleichzeitig daran, aufklärerische und republikanische Werte zu  untergraben.

Nun folgt der Kern des Abends, die Plädoyers von Anklage und der Verteidigung. Marc Spescha richtet sich direkt an die Geschworenen. Der Jurist zitiert «Die Weltwoche», die nach eigenen Aussagen eine Gralshüterin «der Skepsis, der Kunst des fundierten Zweifels in Gestalt der Recherche» sei.

Die Zeitschrift versuche, die Wirklichkeit zum Geschäftsmodell zu machen. In Tat und Wahrheit betreibe sie aber «Prangerjournalismus». Und am Pranger stünden immer die gleichen: Sozialhilfebetrüger, Ausländer, Kopftuchträger und das Bundesgericht. Hierbei schüre die «Weltwoche» Angst durch das Verbreiten von Stereotypen. Dazu käme eine Verunglimpfung des Staates, in dem die Zeitschrift den Volkswillen über alles setze und auch die Gerichte scharf kritisiere.

Roger Köppel als Krimineller

Co-Ankläger Robert Misik sorgt für Erheiterung unter den Zuschauern, als er erzählt, wie das Cover mit dem Roma-Jungen in Österreich wahrgenommen wurde. Nachdem gegen Chefredaktor Roger Köppel auch in Österreich und Deutschland Klagen eingegangen seien, sei er zum Schluss gekommen: Köppel sei durch die Anzeigen ohnehin kriminalisiert, also aus der Sicht der Österreicher ein krimineller Ausländer und müsse nach Köppels eigener Auffassung ausgeschafft werden respektive ein Einreiseverbot bekommen.

Weiter fand Misik, hätten die Geschworenen nun die Chance ein «Stop-Signal» zu setzen, denn Meinungen, wie diejenige der «Weltweltwoche» könne es zwar geben, aber mit einer solchen Meinung «schliesst man sich aus einer zivilisierten Gesellschaft aus.»

Imhof als Robbespierre

Valentin Landmann, der Anwalt der Verteidigung, holt in seinen Ausführungen zum verbalen Gegenschlag aus und nennt Imhof, der zu Beginn des Abends gesprochen hat, einen «Robbespierre-Verschnitt». Mit seiner Empfehlung an den Medienwissenschaftler, zuerst sein eigenes Weltwoche-Trauma aufzuarbeiten, sorgt er für Lacher.  

Zentrales Argument der Verteidigungsrede ist die Pressefreiheit. Es gehe dabei um «fundamentale Rechte, denen die Gesellschaft besonders Sorge tragen müsse». Die Weltwoche sei «ein kleines Medium in einer vielfältigen Medienlandschaft». Diese Pluralität der Meinungen müsse bewahrt werden. «Man muss sagen dürfen, was nicht Mainstream ist.»

Die grosse Unterstützung der Volksmeinung sei nur ein Beleg dafür, wie sehr «Die Weltwoche» die Verfassung respektiere. Somit könne von «Gefährdung der verfassungsmässigen Ordnung» keine Rede sein.

Die Tyrannei der Mehrheit

Der Zürcher SVP-Kantonsrat Claudio Zanetti wendet sich in seiner Ansprache ebenfalls direkt an die Geschworenen. Als einziger spricht er Schweizerdeutsch. Die Anklage werfe der «Weltwoche» vor, über den Volkswillen eine «Tyrannei der Mehrheit» anzustreben, sagt er. Um sogleich rhetorisch zu Fragen: «Wäre das Gegenteil besser? Eine Tyrannei der Minderheit?» Ohnehin trete die Anklage mit ihrer konsequenten Verwendung des «wirs» so auf, als habe sie die Wahrheit für sich gepachtet.

Friedman und  Abdel-Samad finden sich zwischen den Fronten wieder

Hamed Abdel-Samad, Politologe, Historiker und Autor, tritt in dieser Runde der Prozesse als Redner auf, genauso der Journalist und Moderator Michel Friedman.

Hamed Abdel-Samad setzt sich für die Meinungsfreiheit ein. «Man muss am Konsens rütteln, um ihn zu überprüfen. Woher wissen wir, ob wir recht haben», so Abdel-Samad. Und ermahnte die Geschworenen: Wenn man ein Medium für Schuldig befinde, dann nähme man ihm das Recht zu sprechen und damit auch deren Lesern. Die Leser würden wie Kinder entmündigt. Er sei weder für noch gegen «Die Weltwoche». Eine Gesellschaft müsse offen sein.

Michel Friedman hingegen appellierte vor allem an die Bürgerpflicht der Journalisten mit allen Pflichten und allen Freiheiten. Journalisten müssten sich in einer freien Gesellschaft für das Geschriebene verantworten. Meinungs- und Pressefreiheit sei eine Frage der Würde.

Der erste Prozesstag ist beendet.

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