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Die Zürcher Prozesse Der zweite Prozesstag (Teil 1): Wie gefährlich ist der Islam?

Das Verhör der Experten hat begonnen. Gegenstand der Verhandlung ist Artikel 258: «Schreckung der Bevölkerung». Betreibt «Die Weltwoche» geistige Brandstiftung? Oder ist die Anklage freiheitsfeindlich? Das Spektrum der Meinungen ist breit: Vom «Weltwoche»-Leser bis zum «Mainstream-Moslem».

Der zweite Prozesstag hat begonnen. Es ist 12.15 Uhr. Das Theater Neumarkt ist nicht ganz so voll wie gestern. Die frühe Uhrzeit scheint Theaterbesucher abzuschrecken.

Die Beteiligten

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Alt-Bundesgerichtspräsident Giusep Nay als Rechtsexperte, Verlegerin Anne Rüffer als moderierende Richterin, Rechtsanwalt Marc Spescha und der Journalist Robert Misik als Anwälte der Anklage, Milieuanwalt Valentin Landmann und Kantonsrat Claudio Zanetti als Anwälte der Verteidigung, Autorin Güzin Kar als Gerichtsschreiberin.

Die Stimmung ist konzentriert. Das Publikum wartet gespannt auf den Fortgang des Prozesses. Es geht an diesem Vormittag um Artikel 258 «Schreckung der Bevölkerung».

«Gefahr für Leib und Leben»

Die Regie-Assistentin schlägt die Klappe und Milo Rau ruft «Action». Der theatrale Vorgang beginnt. Das Gericht tritt auf und auch das Publikum steht respektvoll in den Reihen. Der Theatervorgang schwappt in die Realität.

Rechtsexperte Giusep Nay erläutert den Artikel 258 «Schreckung der Bevölkerung». Er zitiert das Strafgesetzbuch und erklärt das Prozess-Thema: Schreckt «Die Weltwoche» mit ihrer Berichterstattung über den Islam und Sozialhilfebetrüger die Bevölkerung? Wie sehr können der Islam und die in der Schweiz lebenden Muslime die Schweizer Bevölkerung bedrohen? Fühlen sich die Schweizer tatsächlich durch «Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt»?

«Geistige Brandstiftung», nicht Medienfreiheit

Marc Spescha und Robert Misik
Legende: Marc Spescha und Robert Misik: Unverdrossen gegen «Die Weltwoche». Markus Tomsche

Als erstes erhält die Anklage das Wort. «Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden», so zitiert Marc Spescha den Verteidiger Claudio Zanetti, der am ersten Prozesstag diesen Satz Rosa Luxemburgs in seinem Plädoyer anführte. Auch er, Spescha, sei dieser Meinung. Doch er gibt zu bedenken: Wer sind die Andersdenkenden? Das seien auch die Muslime. Diese hätten das Recht ihrem Denken Ausdruck zu verleihen, auch durch ein Minarett. Aber «Die Weltwoche» glaube, dass Minarette nur radikale Fundamentalisten anziehe.

«Die Zürcher Prozesse»

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Vom 3. Mai - 5. Mai 2013 finden im Theater Neumarkt «Die Zürcher Prozesse» unter der Regie von Milo Rau statt. «Die Weltwoche» steht dort vor Gericht.

Das Thema dieses Vormittags sei geistige Brandstiftung, nicht Medienfreiheit, so Spescha. «Die Weltwoche» betreibe diese durch reisserische und pauschalisierende Schlagzeilen und Artikel. Beispielsweise schreibt Chefredaktor Roger Köppel in Ausgabe 47/2009 der «Weltwoche»: «Wer den Islam ernst nimmt, sieht ihn als politreligiöse Eroberungsideologie, die ihre Standards überall dort durchsetzt, wo sie sich niederlässt. Das Minarett ist das sichtbare Symbol der islamischen Landnahme.»

Das Schweizer Volk als «Stimmvieh»

Verteidiger Landmann beginnt seinen Gegenschlag mit «Nun, Spass bei Seite» und beschreibt die Anklage als onkelhaft. Die Anklage bemühe sich in unlauterer Weise Unterstellungen zu verbergen. Die Minarettinitiative sei eine Entscheidung des Schweizer Stimmvolks: Die Anklage klage alle Schweizer an, indem sie diese kritisiere und degradiere das Volk so zu unmündigem Stimmvieh. Die Minarettinitiative sei lediglich der Versuch kultureller Abgrenzung.  

Claudio Zanetti, im Hintergund die Richterbank.
Legende: Zanetti versucht bemüht volksnah: Fast immer auf Schweizerdeutsch. Markus Tomsche

Verteidiger Zanetti beschreibt den Standpunkt der Anklage als klar freiheitsfeindlich. «Die Weltwoche» fasse die heissen Eisen an und schaffe so wertvolle Diskussionen, wie diese im Theater Neumarkt.

Die Fronten sind somit klar, das Kreuzverhör kann beginnen: Die geladenen Experten sind Zeugen des Gerichts und nicht der verhandelnden Seiten. Die künstlerische Leitung hat die Experten ausgewählt um Licht in die Debatte zu bringen. Anklage und Verteidigung dürfen nun die Experten befragen, um ihre Haltungen zu untermauern. Zu Anklagepunkt «Schreckung der Gesellschaft» werden sieben Experten angehört.

Im «Cockpit des Bösen»

Die Richterin Anne Rüffer erinnert an das Zeugnisverweigerungsrecht. Philipp Gut, Peter Keller, Roger Köppel, Oskar Freysinger und andere hätten davon Gebrauch gemacht, so die Richterin.

Experte Eins: Albert Kuhn, ehemaliger Musikjournalist von «Die Weltwoche». Er habe sich von der Weltwoche distanziert, da er mit der inhaltlichen Ausrichtung nichts mehr gemein habe: «Die Weltwoche» säe Zwietracht, so Kuhn. Das Minarett-Titelblatt habe für ihn den Ausschlag gegeben, das Blatt zu verlassen. In seinem Umfeld sagte man ihm nach, er arbeite im «Cockpit des Bösen». Seine Arbeit sei dennoch immer unbeeinträchtigt gewesen. «Die Weltwoche» habe ihn inhaltlich nie beschnitten.

«Claudio, your turn»

Experte Zwei: Daniel Glaus, ehemaliger Mitarbeiter der Weltwoche. Er war an den Recherchen für einige Islam-Artikel beteiligt. Daniel Glaus habe eine jungsozialistische Vergangenheit, bemerkt die Anklage. Glaus beschreibt seinen Werdegang so: «Ich habe mich weg von der Politik, hin zum Journalisten entwickelt.» Die Anklage unterstellt ihm politischen Haltungswechsel, denn jetzt habe er den Islam im Sinne der «Weltwoche» untersucht.

Daniel Glaus am Expertenpult.
Legende: Recherchierte für Islamartikel: Keine Einfussnahme von Seiten der «Weltwoche». Markus Tomsche

Die Verteidigung hingegen stellt seine Unabhängigkeit im Denken heraus. Es gab keinerlei Einflussnahme von Seiten der Chefredaktion. Landmann übergibt locker an Claudio Zanetti mit den Worten: «Claudio your turn».

Zanetti versucht herauszustellen, dass er das Anliegen von Glaus unterstützt habe, einem Asylbewerber zum Bleiben zu verhelfen. Glaus habe also «unter der Fuchtel von Roger Köppel» einen Artikel über einen Asylbewerber geschrieben und ihn so vor der Abschiebung bewahrt. Das sei Beweis genug, dass «Die Weltwoche» Andersdenkende unterstütze.

«Ich bin ein Mainstream-Moslem»

Experte Drei: Nicholas Blancho, Präsident des Zentralrats des Islams in der Schweiz und Konvertit, versucht einen Witz zu machen und verspricht sich bewusst «Herr Goebbels, ähm Herr Köppel» sei leider nicht da. Das Publikum reagiert befremdet.

«Die Weltwoche» habe ihn durch ihre Artikel zu einem «radikalen Islamisten» gemacht, er selber sieht sich als «Mainstream-Moslem». Die Anklage versucht herauszustellen, dass Herr Blancho eine geringere Bedeutung hat, als im von der Weltwoche zugesprochen wurde. Zanetti versucht Blancho festzunageln, er solle zugeben, dass er die Sharia, Steinigung und häuslicher Gewalt in gewissen Fällen gutheisse. Blancho sagt, das alles sei in keinem Wertesystem durchführbar. Blancho weicht klaren Antworten aus. Zanetti verlässt genervt die Befragung.

«Die Moscheen sind unsere Kasernen»

Experte Vier: Daniel Zingg, engagierte sich stark gegen den Bau von Minaretten und ist begeisterter Leser der Weltwoche. «Islam sei Politik und am Rande Religion», so Zingg. Er sieht die «marginale Gruppe» des Islams als Bedrohung. Als Beispiel sieht er nicht den Islam wie er in der Schweiz gelebt würde, sondern im Iran. Denn die Eroberung sei das Ziel des Islams. Das Christentum sei keine Welterobererreligion. Das Publikum lacht.

Er möchte den Islam nicht einschränken, aber der Islam solle keinen Raum auf der Politbühne der Schweiz bekommen. Dann zitiert er Präsident Erdogan: «Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.»

Die Strategie der Verteidigung

Expertin Fünf: Amira Hafner Al-Jabadji, Islamwissenschaftlerin und Publizistin. Sie ist im interreligiösen Dialog tätig, zwischen dem Islam und dem Christentum in der Schweiz. Sie ist gegen die Pauschalisierung der Muslime in der Schweiz. «Die Weltwoche» nehme einen bestimmten Anteil des gelebten Islams und erhebe ihn zur Norm.

Video
Amira Hafner Al-Jabadji erklärt, wie die Weltwoche "Normen" kreiert
Aus Kultur Extras vom 04.05.2013.
abspielen. Laufzeit 16 Sekunden.

Amira Hafner Al-Jabadji ist erstaunt welches mediale Interesse an Nicholas Blancho bestünde, vor allem durch «Die Weltwoche». Andere, die viel länger am Dialog arbeiten würden, bekämen nie diese Aufmerksamkeit. Amira Hafner Al-Jabadji glaubt, dass das Beschwörung von islamischer Radikalisierung den Radikalen Aufschwung gibt.

Die Verteidigung durch Valentin Landmann unterstützt Amira Hafner Al-Jabadjis Arbeit und wünscht ihr viel Erfolg bei ihrem Engagement im Dialog zwischen Islam und Christentum. Das Publikum reagiert amüsiert. Amira Hafner Al-Jabadjis Schlussstatement: «Ich greife »Die Weltwoche« nicht an, ich fühle mich durch »Die Weltwoche« angegriffen.»

Geliebt für politische Unkorrektheit

Experte Sechs: Hamed Abdel-Samad, Politologe und Islamkritiker. Die politische Seite des Islams ist mit einer Demokratie vereinbar wie «Spinat und Tiramisu», so Abdel-Samad. Er beleidige den Islam nicht. Jeder dürfe den Islam kritisieren, solange die Kritik rational sei.

Auf Nachfrage der Verteidigung bestätigt Hamed Abdel-Samad, dass er die Schweiz nicht als «Islamhasser-Land» wahrnehme. Zanetti stellt fest, dass Hamed Abdel-Samad geliebt werde, weil er in der Sendung «Entweder-Broder» die Regeln der politischen Korrektheit verletze.

Wermuth und Zanetti kurz einer Meinung

Cédric Wermuth
Legende: Wolf im Schafspelz: Wermuth wirft der «Weltwoche» vor sich dumm zu stellen. Markus Tomsche

Experte Sieben: Cédric Wermuth, Mitglied des Schweizerischen Nationalrates für die SP und wirft der «Weltwoche» vor, eine Bedrohung zu konstruieren. «Die Weltwoche» sei keine kleine Sekten-Zeitung am Rande der Gesellschaft. Die Schweizer Medienlandschaft sei monopolartig organisiert. «Die Weltwoche» benutze die gleiche Rhethorik wie die SVP - diese stellt sich als eine unterdrückte Minderheit dar, obwohl sie die grösste Partei in der Schweiz sei.

Wermuth möchte hier niemanden anklagen, da er als Mitglied des Nationalrates Teil der Legislative sei und nicht der Judikative. «Ein lauter Teil», ergänzt Zanetti. Zanetti beschreibt den hier verhandelten Artikel 258 als nebulös. Cédric Wermuth bestätigt, dass im Zweifel für den Angeklagten entschieden werden müsse. Das Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit müsse hoch gehängt werden.

Die Befragung der Experten zu Artikel 258 ist beendet.

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