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Die Zürcher Prozesse Der zweite Prozesstag (Teil 2): Die Wahrheit der Whistleblowerin

Ob «Die Weltwoche» rassistische Artikel schreibt, sollte am zweiten Tag des Prozesses im Theater Neumarkt geklärt werden. Mit dem Auftritt der einstigen Weltwoche-Informantin Margrit Zopfi wurde aber die Sozialhilfe zum Thema – und sogar Blochers Büro.

In der zweiten Session vom Samstagnachmittag stand im Theater Neumarkt der Anklagepunkt der «Rassendiskriminierung» auf der Traktandenliste. Quasi als «Kronzeuge» wurde dabei Alex Baur in den Zeugenstand gebeten. Er ist der einzige Mitarbeiter der «Weltwoche», der am dreitägigen Theaterprozess, bei dem Regisseur Milo Rau die Zeitschrift vor Gericht stellt, teilnimmt. Chefredaktor Roger Köppel hat im Vorfeld abgesagt, – «ein echter Köppel steht nur vor ein echtes Gericht.»

Strafwürdig oder preiswürdig?

«Die Zürcher Prozesse»

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Vom 3. Mai - 5. Mai 2013 finden im Theater Neumarkt «Die Zürcher Prozesse» unter der Regie von Milo Rau statt. «Die Weltwoche» steht dort vor Gericht.

Die Vertreter der Anklage konfrontieren Baur mit dem Vorwurf, dass in seinen Artikeln praktisch ausschliesslich von Sozialhilfebetrügern die Rede ist, die aus muslimischen Ländern stammen. «So werden Muslime zu einem Synonym für Sozialhilfebetrüger», sagt Marc Spescha. Baur entgegnet, dahinter stecke kein Kalkül, er habe in seinen Recherchen schlicht keine anderen Beispiele gehabt, und habe nicht bewusst Fälle von Schweizer Sozialhilfebezügern weggelassen.

Statistische Erhebungen würden aber auch zeigen, dass Migranten bedeutend öfter Sozialhilfe beziehen als Schweizer. Verteidiger Valentin Landmann erklärt, dass es gerade der Verdienst von Baur und der «Weltwoche» sei, solche Zahlen und Fakten aufzugreifen. Und mit Blick auf die Journalistenpreise, die Baur gewonnen hat, fügt er hinzu: «Solche Recherche ist nicht strafwürdig, sondern preiswürdig.»

Sozialhilfe im Fokus

Gerichts-Zeichnung
Legende: Alex Baur im Kreuzverhör. SRF / Cécilia Bozzoli

Die Diskussion wendet sich dann fast ausschliesslich dem Fall zu, mit dem Baur nationale Bekanntheit erlangte: Er hat mithilfe zweier Informantinnen aus dem Sozialamt Missstände im Sozialbereich der Stadt Zürich aufgedeckt. Das Ansprechen des prominenten Falls führt hier dazu, dass die Teilnehmer des Prozesses zwischenzeitlich mehr über die Verteilung von Sozialhilfegeldern, als über den eigentlich auf dem Programm stehenden Vorwurf der Rassendiskriminierung debattieren.

Video
Magrit Zopfi erzählt, wie sie von Christoph Blocher angestellt wurde
Aus Kultur Extras vom 04.05.2013.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 39 Sekunden.

Und als mit Margrit Zopfi eine der Whistleblowerinnen von Baurs Recherche ans Rednerpult tritt, wird das Themenspektrum noch weiter geöffnet: Die Tatsache, dass Zopfi heute für SVP-Nationalrat Christoph Blocher arbeitet, nutzt Zanetti zum Small-Talk über Blocher als Chef. Zopfi lässt sich über das «Büro Blocher» allerdings nur entlocken, dass dieses «keine Wohlfühloase» sei. Rechtsexperte Giusep Nay ermahnt Zanetti: «Langsam müssen sie zum Thema kommen».

Sozialarbeiterinnen als dümmlich dargestellt

Das ad hoc gewählte Streitthema «Sozialhilfe» bietet aber auch Raum für Auseinandersetzungen um die «Weltwoche». So entwickelt sich zwischen Walter Schmid, dem Präsident der Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) und Zanetti ein lebhafter Schlagabtausch. Schmid erklärt, «Die Weltwoche» destabilisiere mit ihrer Art über Fälle zu berichten gezielt die Sozialhilfeinstitutionen. Insbesondere weibliche Sozialarbeiterinnen würden absichtlich als dümmlich dargestellt.

Zanetti wiederum fordert von Schmid umfassendes statistisches Material zu Sozialhilfebezügern, etwa über deren Herkunft. Schmid entgegnet, seine Organisation setze sich dafür schon seit langem ein, der Ball liege aber letztlich beim Bund. Und er entgegnet dem Politiker Zanetti: «Machen sie in dieser Sache doch einen Vorstoss». Schmid räumt ein, dass Baurs Recherche Reformen eingeleitet habe, der Preis dafür sei aber «hoch» gewesen. Heute seien generelle Verdächtigungen von Sozialhilfebezügern und deren Mitarbeitern häufiger als zuvor.

«Ja, aber» zur Mohammed-Karikatur

Die Beteiligten

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Alt-Bundesgerichtspräsident Giusep Nay als Rechtsexperte, Verlegerin Anne Rüffer als moderierende Richterin, Rechtsanwalt Marc Spescha und der Journalist Robert Misik als Anwälte der Anklage, Milieuanwalt Valentin Landmann und Kantonsrat Claudio Zanetti als Anwälte der Verteidigung, Autorin Güzin Kar als Gerichtsschreiberin.

Als mit Derya Özonar eine bekennende Muslimin ans Rednerpult tritt, schwenken die Diskussion und auch die Fragen der Parteivertreter wieder stärker auf das eigentliche Thema des Nachmittags ein: Der Vorwurf der Diskriminierung von Minderheiten.

«Die Weltwoche» verbreite «rassistische Weltanschauungen», erklärte die junge Frau. Dadurch, dass die Zeitschrift generalisierend über «die Muslime» berichte, werde auch sie persönlich für Dinge verantwortlich gemacht, mit denen sie nichts zu tun habe. «Muslime sind keine homogene Gruppe», sagt sie. «Und die überwiegende Mehrheit lebt in Harmonie mit den demokratischen Institutionen.»

Als sie Zanetti fragt, ob sie persönlich Mohammed-Karikaturen billige, antwortet sie: «Ja, aber ich halte jemanden, der soetwas macht, für respekt- und niveaulos.»

Der Roma-Junge mit Pistole

Die letzten beiden Referenten des Abends, SVP-Nationalrätin Yvette Estermann und Rechtsprofessor Marcel Alexander Niggli sind aufgefordert, das vieldiskutierte Titelbild der «Weltwoche», auf dem ein Roma-Junge mit einer Pistole zu sehen ist, zu kommentieren. Estermann bezieht zum Cover keine eindeutige Position, sie erklärt, dass es letztlich darum gehe, dafür zu sorgen, dass Kinder nicht in derartiger Armut aufwachsen.

Alexander Niggli
Legende: Niggli: «Die Weltwoche» breche bewusst Tabous, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Markus Tomsche

Niggli betont in der Bewertung weniger die juristische, als vielmehr die publizistische Seite. «Die Weltwoche» greife auf Tabus zurück, um Aufmerksamkeit zu generieren. «Sie spielt das Medienspiel perfekt.» Er ruft zudem die grundsätzliche Bedeutung des Minderheitenschutzes in Erinnerung: Es gebe solche Diskriminierungsverbote, um die Menschen vor Angriffen zu schützen, vor denen sie sich nicht wehren können. «Denn niemand kann seine Herkunft ändern.»

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