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Bühne Nathan der Weise lehrt wieder: Es gibt nicht die wahre Religion

Es ist Schulstoff und beinhaltet Zündstoff: Gotthold Ephraim Lessings «Nathan der Weise». Besonders in gesellschaftlichen Umbruchszeiten wird der Klassiker auf die Bühne gebracht. Die Ringparabel wirkt in Zeiten der Intoleranz wie ein Kommentar zur Stunde. Auch heute wieder.

Es gehört irgendwie zum Theater, dass von Zeit zu Zeit ein Stück zum «Stück der Stunde» ausgerufen wird und dann plötzlich auf verschiedenen Bühnen gezeigt wird. Das zeigt, dass sich das Theater als gesellschaftlich relevantes Medium versteht und dass das Spielen von Klassikern oft mit der Suche nach zeitlosen oder überzeitlichen Antworten auf aktuelle gesellschaftliche Fragen zu tun hat.

Die Regisseurin Daniela Löffner hat im Frühling Lessings «Nathan der Weise» fürs Schauspielhaus Zürich inszeniert. «Wir haben ein Stück gesucht, das sich mit der heutigen Intoleranz auseinandersetzt, und da landeten wir sehr schnell bei Lessing.» Vor 20 Jahren, als sie das Stück in der Schule gelesen habe, hätte sie nicht gedacht, dass dieser Text sie Jahre später noch einmal so stark interessieren würde – zu weit weg von ihrer Lebensrealität schien er ihr damals. «Ich war überrascht, wie aktuell mir das Stück heute vorkommt.» Sie folgert daraus: «Die Welt ist wohl intoleranter geworden als noch zu meiner Schulzeit. Das sollte uns zu denken geben.»

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Klassiker der Stunde

Gerade die Ringparabel, das Herzstück des Theaters, in der der Sultan Saladin vom jüdische Kaufmann Nathan wissen will, welche der Religionen er für die richtige hält, habe sie fasziniert. «Der Grundgedanke in der Ringparabel ist, dass man nicht für eine Religion kämpfen kann, sondern für die Menschlichkeit kämpfen muss. Wenn man das mit selbstloser Liebe tut, kann daraus Religion werden.» Und: «Nathan schafft es, in einem Moment der grossen Gefahr eine Parabel zu erzählen, die die Welt retten könnte. Das macht ihn weise.»

«Nathan der Weise» auf den Spielplan zu setzten, garantiert Publikum. Schulklassen zum Beispiel, die sich im Geschichts- oder Deutschunterricht mit der Aufklärung und Lessing auseinandersetzen (müssen). Auch deshalb wird «Nathan der Weise» regelmässig gespielt und hat sich als Klassiker, der oft interpretiert und aktualisiert wird, gehalten.

Und dann gibt's Zeiten, in denen sich die Inszenierungen verdichten: Nach dem 9. September 2001 und dem viel zitierten «Clash of Civilisation» etwa griffen viele Theater zu diesem Toleranzstück. Und heute, angesichts der Fremdenfeindlichkeit, Terrorangst und der Migrationsbewegungen, scheint Lessings Theaterstück aus dem 18. Jahrhundert wieder der Klassiker der Stunde zu sein.

Ein Frau steht als Engel verkleidet auf der Bühne.
Legende: Nathans angenommene Tochter Recha (Elisa Plüss). Tanja Dorendorf / T+T Fotografie

Würde der Humanität

Auch der Blick in die Theatergeschichte zeigt die Wichtigkeit des Stücks: Nicht zufällig wurde das Deutsche Theater in Berlin im September 1945 offiziell mit Lessings «Nathan der Weise» wiedereröffnet. Nach Jahrzehnten des Mordens, in denen das Stück auf deutschen Bühnen verboten war, war das ein Statement für ein Theater der Aufklärung und für den «Geist der Humanität». Viele andere Theater folgten.

Natürlich hat sich die Welt verändert in den letzten 240 Jahren, sie ist globaler und internationaler geworden – aber nicht weniger intolerant. Deshalb ist es auch wichtig, die aktuelle Realität immer wieder mit dem Bühnenklassiker abzugleichen. Nicht um zu beweisen, dass Lessings Worte auch heute noch gelten, sondern um eine Debatte und die Reflexion darüber lebendig zu halten. Und damit auch: für ein Theater als Denkraum.

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