«Schwanensee», kennt jeder. 1877 erstmals aufgeführt, hat das Stück bis heute nichts an Zauber eingebüsst – jenes Märchen, in dem eine Prinzessin in einem Schwanenkörper gefangen ist und seine menschliche Gestalt und Freiheit nur durch die bedingungslose Treue des Geliebten wiedererlangen kann. Ein Kampf gegen das Böse, das Böse verliert, dennoch gibt es kein Happy End. Ein Versuch, der Magie dieses fast 140-jährigen Balletts zu ergründen.
1. Leben und Tod – alles oder nichts
«Schwanensee» ist kein Sonntagszvieri. Das Stück behandelt elementare Themen: Liebe und Sehnsucht, Einsamkeit und Eifersucht, Wut, Schmerz und Glück. Die grossen Lebensthemen eben, die an uns rütteln, uns erschüttern oder beflügeln. Wer hat nicht schon mal aus tiefstem Herzen geliebt oder sich sehnlichst Vergebung gewünscht? «Schwanensee» trifft dahin, wo es weht tut oder am Schönsten ist: mitten ins Herz.2. Musik der Superlative
Hochkomplex! Unvergleichlich! Extrem gut komponiert! Tanzjournalistin Maya Künzler hat für Peter Iljitsch Tschaikowsky Musik zu «Schwanensee» nur Superlative übrig. Es sei eine der ersten ausschliesslich fürs Ballett komponierte Musik.3. Schwarz versus Weiss
Das Ballett ist geprägt von Dualität – und die fasziniert. Da ist der weisse Schwan Odette: ernst, sanft, rein und gutherzig; dort ist der böse Schwan Odilie: böse, abgründig, kraftvoll und sexy. Wer hat sich nicht schon mal gefragt, welcher Schwan er wohl sein möge – Gut oder Böse? Die Hauptrolle verkörpert, was in jedem Menschen steckt.4. Die Schwanenkönigin: Horror in Spitzenschuhen
Wer den US-amerikanischen Psychothriller «Black Swan» mit Natalie Portman als Primaballerina gesehen hat, muss annehmen: Jede Ballettänzerin, die die schizophrene Doppelrolle des weissen und des schwarzen Schwans innehat, durchlebt den puren Horror. Die Realität sieht hoffentlich anders aus: ohne Tänzerinnen, die unter Verfolgungswahn leiden oder sich die Nägel blutig kauen. Dennoch: «Der Part der Schwanenkönigin ist technisch und schauspielerisch extrem schwierig zu bewältigen», sagt Tanzjournalistin Maya Künzler – «eine der anspruchsvollsten und anstrengendsten Rollen des klassischen Balletts überhaupt». Genau das macht ihre Faszination aus.5. Es war einmal ein junger Prinz ...
«Schwanensee» ist ein typischer Märchenstoff: Eine unglücklich verzauberte Prinzessin, die durch die Liebe des Prinzen erlöst wird. Innere Bilder und eigene Gefühle werden geweckt – wer sich darauf einlässt, für den kann die Erzählung zu einem richtigen Erlebnis werden. «‹Schwanensee› ist – ähnlich wie Musicals – bei einem so breiten Publikum beliebt, weil das Stück in eine andere Welt entführt», sagt Maya Künzler.
Sendung: Radio SRF 1, Regionaljournal Zürich Schaffhausen, 5.2.2016, 17.30 Uhr.