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Die Endzeit naht – religiöse Motive in aktuellen Weltuntergangsängsten
Aus Perspektiven vom 29.01.2022. Bild: SRF / Sébastien Thibault
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Der Weltuntergang ruft Endzeitangst: Woher sie kommt und was sie befeuert

Erderwärmung, Kriege oder Pandemie: Krisen nähren die Angst vor dem Weltuntergang. Warum die christliche Hoffnungsbotschaft einen schweren Stand gegen Untergangspropheten und Verschwörungsmythen hat.

Die Weltuntergangsuhr steht auf 100 Sekunden vor zwölf. Zum Ticken gebracht hatten sie Atomphysiker wie Albert Einstein bereits 1947. Mit der Uhr wollte das «Bulletine of the Atomic Science» den Menschen die Gefahr eines Atomkriegs vor Augen führen. Die Warnung der Wissenschaftler: Es ist fünf vor zwölf.

Judith Wipfler

Judith Wipfler

Religionsredaktorin

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Judith Wipfler leitet das Fachteam Religion von Radio SRF. Seit 21 Jahren produziert sie Religionsbeiträge für SRF. Wipfler ist reformierte Theologin. 2021 hat ihr die Universität Bern den theologischen Ehrendoktor verliehen.

Die Angst vor der atomaren Gefahr und einem Dritten und damit letzten Weltkrieg prägte das Lebensgefühl ganzer Generationen im Kalten Krieg. Die christlich evangelikale Bewegung mobilisierte sich im «moral rearmament» gegen den Kommunismus. Und manch eine sah in Stalin den Antichrist gekommen.

Biden als Antichrist

Vieles von dem poppt aktuell in rechtsevangelikalen US-Kreisen wieder auf, wenn dort etwa «der linke» Joe Biden als Antichrist diffamiert wird. Daran anknüpfende Weltverschwörungsmythen feiern in Bewegungen wie QAnon Urständ, inklusive Antisemitismus.

Zwei Menschen vor einer Uhr die kurz vor 12 Uhr anzeigt.
Legende: Die tickende Weltuntergangsuhr zeigt 100 Sekunden vor 12: Suzet McKinney und Daniel Holz mit der «Doomsday Clock». Bulletin of the Atomic Scientists / Thomas Gaulkin

Ihren tickenden Atomkriegswecker nannten die Atomphysiker «Doomsday Clock». «Doomsday» heisst übersetzt «Tag des Jüngsten Gerichts». Das wiederum tippt die christliche Vorstellung vom Endgericht an.

Der Glaube, dass Christus dereinst wiederkomme und Gericht halten werde, ist tief im Christentum verankert. «Dein Reich komme», heisst’s im «Unser Vater». Und im apostolischen Glaubensbekenntnis steht: «Von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.»

Bild von vier Reitern mit Schwertern, die über Menschen hinwegreiten.
Legende: Bilder vom Endgericht sind populär: Die Darstellung der apokalyptischen Reiter von Albrecht Dürer. Albrecht Dürer / The Metropolitan Museum of Art

Die Bilder vom Endgericht und von den Katastrophen, die dem vorauseilen sollen, haben sich tief im kollektiven Gedächtnis eingeprägt. Vor allem die negativen. Ein Blick ins Endzeitkino beweist’s.

Stilbildend bleibt Dichter Dante Alighieris «La divina commedia» aus dem 13. Jahrhundert. Seine Beschreibungen der Hölle – des «inferno» – werden bis heute in Katastrophen-Blockbustern zitiert. Dantes Himmel nicht!

Kunst und Kino können sich mit Bildern von Höllenschlund und Feuersbrunst so richtig austoben. Grusel ist leider attraktiver als himmlische Freuden. Das Positive wird vergessen. Also der Himmel, die Auferstehung der Toten, die Gemeinschaft der Menschen mit Gott, Gerechtigkeit und Frieden, reparierte Schöpfung («die neue Erde») und das viele mehr, was christliche Hoffnung mit dem Kommen Christi und Reich Gottes hauptsächlich verbindet.

Endzeitglossar: Eschaton

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«Eschatologie» heisst in der christlichen Theologie die «Lehre von den letzten Dingen». Dazu gehören: die Wiederkehr Christi, die Auferstehung der Toten, das Endgericht und die Freisprechung von Sünden für alle, die glauben. Darauf soll das Reich Gottes folgen, in dem Gerechtigkeit und Frieden (Schalom) herrschen.

Nach christlichem Glauben ist etwas davon schon im Hier und Jetzt, also in dieser Welt zu spüren. Andere christliche Lehren verlegen Erlösung und ewiges Leben teilweise oder ganz ins Jenseits und wieder andere in eine «Endzeit».

Erstere sehen diese irdische Welt als gute Schöpfung Gottes positiver. Letztere hegen eine negativere Sicht auf die Welt als «Jammertal», das durch die Sünde der Menschen verdorben sei. Ein neuer Himmel, eine neue Erde, ein neuen «Adam» (Mensch) gehören auch zum Hoffnungsbild des Eschaton.

Die Macht des Negativen

Dass das Negative im kollektiven Gedächtnis überwiegt, missfällt heutigen Theologinnen und Theologen. Sie schlagen sich mit einem jahrhundertealten Erbe kirchlicher Drohpredigten herum. Schliesslich hatte sich die mittelalterliche Kirche den Freikauf von Höllenqualen ja teuer bezahlen lassen. Und auch deren grösster Kritiker, der Reformator Martin Luther, glaubte an den Antichristen und daran, dass die Endzeit nahe sei.

An diesem angstmachenden Erbe kirchlicher Verkündigung arbeitet sich auch der evangelisch-freikirchliche Prediger Roland Hardmeier ab. Er will, dass das Evangelium als Frohbotschaft und nicht als Drohbotschaft erfahren wird. Christliche Existenz entfalte sich im Horizont des Kommens Christi und des Reiches Gottes. Das sei eine Hoffnung für heute und keine Angst vor morgen, so Hardmeier.

Zwei Menschen auf einem Bild mit Untergangsstimmung.
Legende: Auch Friedrich Dürrenmatt warnte vor dem Atomkrieg: In Bildern wie «Die letzten Menschen» dominieren düstere Szenen von Grausamkeit, Selbstüberschätzung und «Apokalypse». Sammlung Centre Dürrenmatt ©CDN/Schweizerische Eidgenossenschaft

Nicht Angst, sondern Hoffnung

Hoffnungsbetont schreibt auch der täuferische Theologe Lukas Amstutz in einem Artikel. Schliesslich sei Christus ja gekommen, die Welt zu erlösen und nicht zu zerstören. Und der langjährige SRF-Radioprediger Lukas Amstutz betont: Bei der christlichen Hoffnung auf den «Advent» geht es nicht um Angst, sondern um einen Motor, der zu gutem Leben bewegt, in Liebe und Solidarität.

Endzeitglossar: Parusieverzögerung

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Die Wiederkehr Christi heisst auch «Parusie». Im Neuen Testament sagt etwa Paulus, dass er noch zu seinen Lebzeiten diese Wiederkehr Jesu als Christus erwarte und mit ihm das Reich Gottes. Auch andere Verse zeigen diese «Naherwartung» unter den ersten Christusgläubigen Ende des 1. Jahrhunderts.

Die Wiederkehr lässt bis heute auf sich warten. Christliche Theologie erklärt diese Parusieverzögerung als Chance für die Welt und die Menschen sich zu bewähren. Die Zeit soll genutzt werden, um das Evangelium «in Wort und Tat» zu verbreiten, also in Predigt und karitativer Nächstenliebe.

Der Friedenstheologe Amstutz schreibt: «Wer mit der christlichen Hoffnung lebt, erwartet nicht ein von Menschen herbeigeführtes Friedensreich. Ebenso wenig angemessen ist der bange Blick auf das Weltgeschehen, um zu spekulieren, wie lange es noch bis zu dem angeblich gottgewollten Kollaps dauert. Die christliche Hoffnung lebt von den Verheissungen Gottes und dem, was daraus werden kann und wird.»

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Die Apokalypse. Moderne Deutungen der Johannesoffenbarung.
aus Perspektiven vom 07.06.2015. Bild: Keystone
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Apokalypse bedeutet nicht Weltuntergang

Seine reformierte Kollegin Luzia Sutter-Rehmann unterstreicht: «Gott will die Zerstörung nicht!» Die Professorin will vor allem aufklären. In ihrem Onlinevortrag erklärt sie: «Apokalypse heisst nicht Weltuntergang!». Das letzte Buch der christlichen Bibel sei vielmehr die religiöse Verarbeitung erfahrenen Leids unter dem Imperium Romanum.

Endzeitglossar: Apokalypse

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Apokalypse heisst wörtlich Offenbarung, Entlarvung oder Aufdeckung – wissenschaftlich definiert ist sie eine antike christlich-jüdische Literaturgattung. Die prominenteste ist die Johannes-Apokalypse im Neuen Testament. In krassen Bildern verarbeitet sie die traumatische Gewalt, die Menschen im 1. Jahrhundert unter römischer Kolonialherrschaft erlitten. Sie ist Kriegsliteratur aus Sicht der Unterdrückten.

Die Römer zerstörten im Jahr 70 Jerusalem und den Tempel. Das war die grösste Katastrophe für das jüdische Volk mit den ersten Christusgläubigen. Das Buch reflektiert auch Hunger und Dürre, die auf die Abholzung der Wälder durch die Römer erfolgte. Angesichts dieser Katastrophen «entlarvt» die Apokalypse des Johannes die Schuldigen und will Hoffnung vermitteln. Sie entwickelt eine tröstliche Gegenwelt, in der Jerusalem glänzend wiederaufgebaut ist und der Gott Israels durch das Lamm Christus regiert.

Die Johannesapokalypse ist das letzte Buch der christlichen Bibel. Darum verstehen es viele als Zukunftsvision und nicht als kritische Gegenwartsanalyse, so wie das die moderne Bibelexegese tut. Obwohl ein «Buch mit sieben Siegeln» wird die Johannesapokalypse bis heute breit rezipiert. Ihrer bedienen sich auch Weltuntergangsprognosen jeglicher Couleur.

Die krassen Katastrophen-Bilder der «Apokalypse», inklusive «apokalyptischer Reiter» sind auch im Action-Kino höchst populär. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird «Apokalypse» gleichgesetzt mit Katastrophen und Weltuntergang.

«Apokalypse heisst auf Griechisch: Offenbarung, Aufdeckung, Entlarvung», sagt Sutter-Rehmann. Die Johannes-Apokalypse sei also kein Endzeitfahrplan, sondern ein Trost- und Aufklärungsbuch. Für die Theologin ist es darum die gemeinsame Pflicht von Kirche, Kunst und Naturwissenschaft, Missstände wie die Erderwärmung aufzudecken und darüber aufzuklären.

Toter Vogel mit Öl beschmiert auf einem Felsen.
Legende: Der Mensch hat fatale Folgen für die Umwelt: Ein Vogel nach einem Ölunglück in Peru. REUTERS / ANGELA PONCE

Keine Endzeit von der Kanzel

Anders als im Mittelalter und während der Reformation werde heute weder von landeskirchlichen noch von freikirchlichen Kanzeln die Endzeit herbeigepredigt, beteuert der freikirchliche Theologe Roland Hardmeier. Akuter «Naherwartung» begegne er in freien evangelischen Gemeinden der Schweiz höchst selten.

Weltuntergangsängste, gemixt mit Verschwörungsmythen, seien vielmehr in digitalen Blasen anzutreffen. Das habe auch mit der Isolation solcher Leute zu tun, die mehr «in der digitalen Kirche» als unter realen Christen unterwegs seien.

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Antichrist
aus 100 Sekunden Wissen vom 02.02.2022. Bild: SRF / Sebastien Thibault
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Fliessende Grenze zu Rechtsradikalen

In rechtsevangelikalen, rechtskatholischen und manchen pfingstlerischen Kreisen in den USA sieht das anders aus. Dort werden «die Zeichen der Zeit» als «Endzeitwehen» gedeutet. Dazu gehören neben der Pandemie auch «Christenverfolgungen» und angebliche Dekadenzerscheinungen. Hier ist der Übergang zu rechtsradikalem Denken fliessend.

Denn was den «Zerfall» unseres Zeitalters anzeige, seien Abtreibung, Homosexualität, generell «Gender» und Feminismus, sind «die» Muslime und natürlich «die» Juden. Ein Blick auf die deutsche Website kath.net reicht, um zu sehen, dass auch hier Homophobie, Gynophobie, Islamophobie und Antisemitismus vertreten und mit dem Untergang verknüpft werden.

Endzeitglossar: Antichrist

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Weit verbreitetem Glauben nach verkörpert der Antichrist das absolut Böse, den Teufel oder Widersacher Christi. Kurz bevor Christus wiederkehre, würde der Antichrist auftreten und mit ihm andere endzeitliche Katastrophen.

Die Bibel gibt das allerdings nicht her. Die Worte Ἀντίχριστος oder ἀντὶ Χριστοῦ kommen in der Bibel nur viermal vor, noch dazu im selben Buch, den Johannesbriefen. Dort bezeichnet Antichrist einen, der nicht an Jesus als Christus glaubt oder sich an dessen Stelle setzt. Das ähnelt den Begriffen «Pseudo-Christus» oder «Pseudo-Messias». Vor falschen Christussen und Propheten warnen auch die Evangelien.

Bis heute dämonisieren Menschen ihre politisch-ideologischen Gegner als Antichrist. Das hat schon Martin Luther mit dem Papst getan. Aktuell tun es Rechtsextreme in den USA mit Präsident Jo Biden oder wahlweise auch mit Bill Gates und George Sorros. Das hat dann noch eine antisemitische weltverschwörerische Komponente.

Sie alle eint eine überaus negative Weltsicht. Auch dem möchte Prediger Roland Hardmeier eine positive Schöpfungstheologie entgegenhalten. Doch in die abgeschotteten Blasen von Endzeitfanatikern einzudringen oder gar einzuwirken, ist schier unmöglich. Dies zeigen auch die tragischen Fälle von Endzeitsekten der letzten Jahrzehnte.

Ein als apokalyptischer Reiter verkleideter Aktivist auf einem Pferd.
Legende: Ein Aktivist als einer der vier Reiter der Apokalypse in Kopenhagen. REUTERS / Christian Charisius

Sonnentempler überlebten die Endzeit nicht

Dem Weltuntergang entfliehen zu wollen, kann tödlich enden. Das stellten die «Sonnentempler» in den 1990er-Jahren traurig unter Beweis. Das Auftreten des Kometen Hale Bopp und die nahende Jahrtausendwende nahmen 74 «Sonnentempler» zum Anlass, sich selbst umzubringen.

Diese Massenselbsttötungen – unter anderem auch in der Schweiz – schockierten die Welt, fanden aber schon 1997 in den USA Nachahmung. Im «Heaven’s Gate» sammelte sich eine ufologische Sekte, um mitgenommen zu werden von einem Raumschiff Ausserirdischer. Auch dort gingen Menschen in den Tod.

Demgegenüber nimmt sich «Uriella» geradezu harmlos aus. Die Sektenführerin errechnete als Medium zwei Weltuntergangsdaten, die aber wie die 1990er-Jahre verstrichen.

Esoterik, Nostradamus und Pseudowissenschaft

Eine besonders gefährliche Weltuntergangssekte war die Aum-Sekte, die 1995 durch einen Giftgasanschlag in der Tokyoter U-Bahn bekannt wurde. Deren Anführer Shōkō Asahara bezog sich ausdrücklich auf die Science-Fiction-Romane von Isaac Asimov und dessen «Doomsday-Maschine».

Sci-Fi-Sekten nennt man solche Gruppen darum auch. Die Mischung von Science und Fiction wurde bei der Aum-Sekte toxisch und tödlich. Typisch an Asahara war auch, wie er aus allen möglichen Lehren etwas zusammenmixte, von Yoga und Hinduismus über die jüdische Kabbala bis hin zur Johannesapokalypse.

Missbrauch von Naturwissenschaft und Bibel 

Religionen, Bibel und Naturwissenschaften werden hier gleichermassen missbraucht. Extremistinnen und Extremisten ziehen sich aus Klimastudien ebenso wie aus der Apokalypse jene Verse, die in ihr Weltbild passen. Die kritischen Bibel- und Naturwissenschaften können das dann nur selten wieder einholen.

Solche Extremismen erklärt der Religionswissenschaftler Michael Blume als Angstreaktion auf den umfassenden Gesellschaftswandel, den wir gerade erleben. Neben Klimawandel und Digitalisierung nennt Blume auch: die zunehmende Säkularisierung und Multikulturalität wie auch den Wandel unserer Geschlechterverständnisse. All das verunsichere.

Gemälde mit Tieren und Menschen friedlich beeinander.
Legende: Die Hoffnung stirbt zuletzt: «Friedensreich» («Peaceable Kingdom») von Edward Hicks. Die Vision vom Tierfrieden und ein Friedensschluss zwischen indigenen Amerikanern und europäischen Siedlern. Wikimedia / Edward Hicks/National Gallery of Art, Washington

In seinem Buch «Rückzug oder Kreuzzug» (Patmos Verlag 2021) nennt Michael Blume das «die Angst vor dem Ende der Welt, wie wir sie kennen». Während einzelne also in Endzeitblasen abdriften oder sich rechtsradikalisieren, gehen andere mutig ins Neue. Sie richten sich im digitalen Zeitalter ein, sparen CO2, fahren Velo und hören auf, Fleisch zu essen.

Dass keiner den anderen mehr frisst, ist übrigens auch eine zentrale Hoffnung der Bibel. So stellt sie sich das Paradies vor.

Radio SRF 2 Kultur, Perspektiven, 30.1.2022, 8:30 Uhr

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