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Ausschnitt aus «Still the Water»
Aus Kultur Extras vom 21.05.2014.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten.
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Cannes 2014 «Still the Water»: Gründen stille Wasser tief?

Der jüngste Film der japanischen Regisseurin Naomi Kawase behandelt die Geschichte zweier Jugendlichen auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Das Werk berührt und trägt auf eigene stille und lyrische Art.

Es ist die letzte Einstellung von «Still the Water», welche diesen grossartigen Film für unverdienten Spott exponiert: Die Teenager Kaito und Kyoko, die sich zuvor auf jeweils eigene Weise mit ihren Müttern auseinandersetzen mussten, sind erwachsen geworden. Sie hatten den Sex, welchen der empörte Kaito seiner Freundin zuvor trotzig verweigert hat, und sie schwimmen im Meer, von dem Kaito zuvor nichts wissen wollte.

Dass die Bilder den Kitsch von «The Blue Lagoon» mit Brooke Shields evozieren, ist unglücklich. Denn Naomi Kawases jüngster Film ist wie immer das pure Gegenteil davon. Niemand hat in den letzten Jahren feinere und zurückhaltendere Bilder gefunden für die Zyklen von Leben und Sterben, Lieben und Hassen, Eifersucht und Hoffnung, als die Japanerin.

Klassischer Erzählstil

Ein Mädchen schwimmt bekleidet im Meer.
Legende: Das Meer hat auf das Mädchen Kyoko eine grosse Anziehung. WOWOW & COMME DES CINÉMAS

Dabei begibt sie sich diesmal noch gründlicher in das animistische Territorium, in dem sie schon vor drei Jahren mit «Hanezu no tsuki» gegen Terrence Malick und seinen «Tree of Life» im Wettstreit um die Goldene Palme angetreten war – und leider verloren hatte. Die stille Lyrik der Japanerin wurde damals von Malicks schwülstigem Opus Magnum einfach überrollt.

Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass «Still the Water» nun viel kompakter und von der Erzählhaltung her deutlich klassischer wirkt. Im Zentrum stehen der Junge Kaito und das Mädchen Kyoko. Sie sind Nachbarn und Freunde, die in die gleiche Schule auf der subtropischen japanischen Insel Amami-Oshima gehen.

Die Liebesgeschichte zweier Jugendlicher

Die ersten Einstellungen zeigen zunächst riesige Wellen, dann ein ruhiges Meer mit einer Steinküste. Und schliesslich Kaito, der neben einem schmalen Pier eine tätowierte männliche Leiche im Wasser findet. Er sagt niemandem etwas, aber er und Kyoko sind am nächsten Morgen in der Menge, als die Polizei den Körper aus dem Wasser fischt.

Kyoko hängt an dem Jungen. Sie fährt stehend auf seinem Fahrrad mit. Ihr Vater, der ein kleines Café führt, macht den Teenagern Abendessen. Denn Kaitos Mutter arbeitet in einem der Küstenhotels und ist selten zuhause.

Naturmystische Inselphilosophie

Während Kyokos Mutter sterbenskrank ist und schliesslich im Kreise von Familie, Freunden und Nachbarn mit Gesang in den versöhnten Tod begleitet wird, zeigt sich, dass Kaito sich mit der Trennung seiner Eltern nicht abfinden kann. Insbesondere nimmt er der Mutter ihre Liebhaber übel.

Das sind die zwei einfachen Plotlinien, an denen Kawase eine ganze naturmystische Inselphilosophie aufhängt und durchspielt. Der Gelassenheit und Versöhnlichkeit von Kyokos Familie stehen die Spannung und die Frustration von Kaito gegenüber.

Wut und Frustration

Cannes: Frisch ab Leinwand

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SRF-Filmkritiker Michael Sennhauser schaut sich in Cannes dutzende Filme an und schreibt über seine ersten unmittelbaren Eindrücke.

Mehr Filmbesprechungen unter sennhausersfilmblog.ch.

Der Tod von Kyokos Mutter ist schmerzlich für alle. Und trotzdem wurde das Sterben nicht mehr so versöhnlich und schön inszeniert seit Kore-Edas «Maboroshi no hikari».

Naomi Kawases jüngster Film berührt und trägt auf eigene stille und lyrische Art. Und er hat ein paar Momente der Wut und der Frustration, welche ihm gut tun. Der schönste ereignet sich, als Kaito gegenüber Kyoko die Bedürfnisse seiner Mutter verteidigt, und der frustrierte Teenager verzweifelt ausruft, die Frauen täten immer so, als ob sie alles verstünden und begriffen hätten. Kyoko antwortet darauf sehr bestimmt, sie verstehe auch nicht.

Surfen wie Sex

Und dann gibt es da noch die ebenso rührende wie komische Surf-Theorie von Kyokos Vater: Beim Surfen in der Gewalt der Wellen gebe es einen Moment, in dem man nichts mehr sei, oder eins mit der Naturgewalt. Seine verstorbene Frau sei diese Welle für ihn gewesen – die grösste, stärkste.

Schon zu Beginn hat Kyoko Kaito davon erzählt und dazu die Vermutung geäussert, so wie ihr Vater diesen Surfmoment schildere, so stelle sie sich Sex vor. Am Ende des Films sind die Kinder keine mehr, sie waren eins und schwimmen unter den Wellen. Und darum ist auch das Bild absolut richtig.

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