Zum Inhalt springen

Header

Inhalt

Filmfestival Locarno Romandie und Tessin interessieren sich kaum für Schweizer Filme

«Schellen-Ursli» oder «Heidi»: Diese Filme lockten 2015 viele Zuschauer in die Kinos. Allerdings primär in der Deutschschweiz: Nur eins von 10 Kinobilletten für eine Schweizer Produktion wurde in der Romandie oder im Tessin verkauft. Das liegt an den kulturellen Eigenheiten der Landesteile.

Rund 780'000 Personen kauften im Jahr 2015 ein Kinoticket für einen Schweizer Film. Davon wurden 90 Prozent der Eintritte in der Deutschschweiz gekauft, 8.5 Prozent in der Romandie und 1.5 Prozent im Tessin. Woher kommen diese Unterschiede?

Podiumsgespräch

Box aufklappen Box zuklappen

Warum haben Schweizer Filme im Tessin und der Romandie einen schweren Stand? Darüber diskutierten SRG-Generaldirektor Roger de Weck, BAK-Filmchef Ivo Kummer, Regisseur Lionel Baier, Kinobetreiber Laurent Dutoit und Produzent Peter Reichenbach am Filmfestival Locarno, an einem Podium des Verbands Schweizer Filmjournalisten SVJF.

In der Westschweiz kennt niemand den «Schellen-Ursli»

Um es gleich vorweg zu nehmen: Es handelt sich nicht um ein strukturelles Problem, sondern um ein kulturelles.

Oder wie Roger de Weck gleich zu Beginn des Podiumsgesprächs in Locarno (siehe Textbox) in Erinnerung rief: «Die Art und Weise wie in einer Kultur eine Geschichte erzählt wird, ist verschieden – zum Glück. Die Filme haben eine andere Ästhetik, einen anderen Schnitt.»

Dass Deutschschweizer Produktionen wie zum Beispiel «Schellen-Ursli» (über 350'000 Eintritte, davon nur knapp 9'000 in der Romandie) in der Westschweiz wenig Anklang finden, liegt auf der Hand: Das bei uns populäre Buch kennt man dort kaum.

Ein Boykott der welschen Presse, wie ihn Produzent Peter Reichenbach vermutet, erscheint unter diesen Voraussetzungen etwas weit gegriffen.

Eine Filmszene aus «Heidi»: Das Mädchen sitzt auf dem Schlitten mit dem Alpöhi (Bruno Ganz).
Legende: So bezaubernd das «Heidi», so wenig Anklang fand der Film ausserhalb der Deutschschweiz. Keystone/Zodiac Pictures

Warum der «Schellen-Ursli» aber längst nach Südamerika und Asien verkauft wurde und in den anderen Schweizer Landesteilen trotzdem nicht auf Interesse stösst, kann auf dem Podium niemand richtig beantworten. Dafür betont man immer wieder die wünschenswerte kulturelle Vielfalt der Schweizer Filmszene.

Es geht nicht nur um Zahlen

Interessanterweise sind aber auch Projekte, die eben diese regionalen Unterschiede einbeziehen, kein Garant für einen Erfolg.

Die Deutschschweizer TV-Serie «Lüthi und Blanc» zum Beispiel: Zweisprachiger Titel, an der Sprachgrenze angesiedelt und zeitweise zweisprachig. Ein Riesenerfolg in der Deutschschweiz – in der Westschweiz wurde die Serie nach einer Staffel abgesetzt.

Warum, weiss auch Roger de Weck nicht: «Manchmal klappt es, manchmal nicht. Aber wir planen eine nationale Serie, die in allen vier Sprachgruppen funktionieren soll.» Ob diese dann auch Anklang findet, wird sich zeigen.

Eine Klappe beim Dreh von «Lüthi und Blanc».
Legende: Die Soap «Lüthi und Blanc» versuchte es mit Zweisprachigkeit – in der Romandie ein Flop. Keystone

Die Schweiz lebt von kultureller Vielfalt

Für Ivo Kummer vom Bundesamt für Kultur sind die Zahlen nur ein Aspekt von vielen. «Dass die verschiedenen Kulturen im Land überhaupt an gemeinsamen Projekten arbeiten und so zur Kohäsion beitragen, ist doch bereits ein Erfolg», erinnert er: «Wir diskutieren hier nur über Zahlen oder Sprachen. Aber es geht um Bilder. Und die versteht jedermann.»

Nach 90 Minuten Diskussion fragt man sich: Braucht es denn überhaupt eine Lösung? Offensichtlich sind sich alle einig, dass bestimmte kulturelle Unterschiede in der Schweiz einfach da sind – und die Schweiz schlussendlich zu dem machen, was sie ist.

Oder wie Roger de Weck es formuliert: «Die Schweiz ist ein gross angelegtes Projekt, dass Leute, die einander nicht verstehen, sich ein bisschen besser verstehen.» Wenn also der Schweizer Film seinen Teil dazu beitragen kann, ist das bereits ein Erfolg.

Meistgelesene Artikel