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Filmfestival Locarno Ursula Meier: «Caster werden unterschätzt»

Zum ersten Mal wird in Locarno ein Award für Caster verliehen. Die Schweizer Regisseurin Ursula Meier ist in der Jury. Zur Arbeit ihrer Casterin gehört es manchmal auch, bis in die frühen Morgenstunden mit der Regisseurin Bier zu trinken.

Am Filmfestival Locarno wird zum ersten Mal der European Casting Director Award vergeben, Sie sind in der Jury. Warum braucht es diesen Preis?

Ursula Meier: Der Beruf des Castingdirektors ist unsichtbar. Nicht selten kommt es vor, dass ein Schauspieler bekannt wird, gar einen César oder Oscar gewinnt – und nicht mal der Schauspieler weiss, dass es der Castingdirektor war, der sich für ihn einsetzte.

Zur Person

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Ursula Meier (geboren 1971 in Besançon) ist eine schweizerisch-französische Regisseurin und Schauspielerin. Anfangs ihrer Karriere vor allem als Kurzfilmregisseurin bekannt, machte sie 2009 ihren ersten Spielfilm «Home» (mit Isabelle Huppert). Es folgte «L'enfant d'en haut (Winterdieb)» mit Léa Seydoux und Entdeckung Kacey Mottet Klein.

Ich arbeite oft mit der gleichen Castingdirektorin zusammen. Sie macht sich oft für einen Schauspieler stark – obwohl niemand sonst an ihn glaubt. Bei meinem Film «L’enfant d’en haut» etwa zögerte ich bei der Rolle der Mutter lange zwischen Léa Seydoux und einer anderen Schauspielerin. Die Castingdirektorin war aber überzeugt: Léa Seydoux ist die Richtige.

Wenn ich mir den Film jetzt anschaue, scheint mir diese Besetzung logisch. Die Castingdirektorin hat also eine wichtige Arbeit geleistet. Mit dem European Casting Award bekommt die unterschätzte Arbeit der Castingdirektoren die Anerkennung, die sie verdient.

Als Castingdirektor muss man die Rolle, die Schauspieler, aber auch den Regisseur kennen. Sind Caster eine Art Psychologen?

Psychologe ist sehr passend. Je nach Schauspielerin kann sich ein Film komplett ändern. Deshalb muss man als Castingdirektorin genau wissen, was die Regisseurin will. Bei «L’enfant d’en haut» war das ein grosses Stück psychologische Arbeit – mit Biertrinken bis in die frühen Morgenstunden.

Sendehinweis

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Legende: Filmcoopi

Der Film «L'enfant d'en haut» («Winterdieb») ist bis Dienstag, 9. August 2016, hier online zu sehen.

In Ihrem ersten Film «Home» spielte Isabelle Huppert mit – keine Unbekannte. War da auch ein Castingdirektor am Werk – und war diese Besetzung Ihr Wunsch?

Als ich «Home» schrieb, dachte ich an Isabelle Huppert. Ich mag es, Szenarien zu schreiben und dabei an bestimmte Schauspieler zu denken. Als es klar war, dass der Film produziert wird, sagte ich mir: Warum nicht Isabelle Huppert fragen, ob sie mitspielen will? Mein französischer Produzent kannte sie. Ich traf sie, sie mochte den Film und sagte zu. Man darf also träumen.

Kacey Mottet Klein ist durch Ihre Filme zum Shootingstar geworden. War es ein Castingdirektor, der Ihnen Mottet Klein vorschlug?

Als wir «Home» drehten, war Kacey 7 Jahre alt. Ich hatte nach einem Jungen in der Romandie gesucht, der meiner Vorstellung entsprach. Bei «Home» übernahm ich sozusagen das Casting, schaute mir Hunderte Jungen an – eine unglaubliche Arbeit.

Kacey hatte eine aussergewöhnliche Präsenz, eine Eleganz am Bildschirm, strahlte Intelligenz aus. Aber mit 7 Jahren bist du noch kein Schauspieler. Mein Kurzfilm «Kacey Mottet Klein, naissance d'un acteur» dokumentiert, wie Kacey zum Schauspieler heranwächst – und was es dazu braucht.

Es ist falsch zu glauben, dass man einfach so, auf natürliche Art und Weise, Schauspieler wird. Als Kacey 12 Jahre alt war, bei «L’enfant d’en haut», war er ein Schauspieler – doch bis dahin haben wir gemeinsam hart dafür gearbeitet.

Ist es eine spezielle Herausforderung, Kinder zu casten?

Bei Kindern ist es schwieriger, jemanden zu finden: Man muss sich sehr viele Kinder anschauen. Aber als Regisseurin finde ich es wichtig – und das ist sowohl bei Kindern und wie auch bei Erwachsenen so –, dass man den Drang verspürt, den Schauspieler filmen zu wollen.

Manchmal sehe ich einen Schauspieler und will ihn unbedingt filmen, ihn herausfordern, mit ihm experimentieren. Es ist wie eine Art Begehren. Und eine Rolle, die die Castingdirektorin nicht übernehmen kann – die die Regisseurin übernehmen muss.

Ich liebe die Arbeit der Schauspieler. Deswegen habe ich auch zugesagt, in der Jury dieses Preises zu sein. Weil ich die Auswahl der Schauspieler und die Arbeit mit ihnen das Schönste am Filmemachen finde – was nicht allen Regisseuren so geht. Deshalb liegt mir auch die Arbeit der Castingdirektoren sehr am Herzen.

Der European Casting Director Award geht an Antoinette Boulat und Elsa Pharaon für das Casting von «La tête haute».

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