Um das Grauen besonders echt wirken zu lassen, setzen Horrorfilme häufiger und früher auf neue Medien und innovative Technologien als andere Genres. Heute verfolgt der Zuschauer etwa über Webcams oder Skype-Aufnahmen, wie eine Figur nach dem anderen dahinrafft – oder über Snapchat, wie aktuell im Film «Sickhouse, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen» der kalifornischen Regisseurin Hannah Macpherson.
Schock durch Licht und Schatten
In der Frühphase des Horrorfilms waren elektrische Lampen die bevorzugte Technologie: Mit Hilfe dieser Erfindung schockten laut dem Filmkritiker und Horrorfilm-Kenner Georges Wyrsch die frühesten Horrorstreifen ihr Publikum. Gruslige Licht- und Schattenspiele liessen expressionistische Filme wie «Nosferatu» (1922) oder «Frankenstein» (1931) authentisch wirken.
Neue Medien, ein gefundenes Fressen
In den 1980ern-Jahren waren sogenannte «Found Footage»-Filme populär: Diese geben vor, sie würden aus Filmmaterial bestehen, das gefunden wurde – meist nach dem qualvollen Tod der darauf zu sehenden Protagonisten.
«Wenn Horrorfilme Ängste auslösen wollen, dann müssen sie eine glaubwürdige Welt entwerfen, in die sich das Publikum unmittelbar hineinversetzen kann», erklärt Filmexperte Georges Wyrsch: «Kameras, Monitore und Displays sind daher ein gefundenes Fressen für Horrorfilme, weil sie eine zusätzliche, halb reale, halb virtuelle Welt erzeugen, in der Gefahren lauern.»
Acht Beispiele, die zeigen, wie das Horrorgenre neue Technologien nutzt, um das Publikum zu schocken.
1. «Sickhouse» (2016, Hannah Macpherson)
Der kalifornischen Beauty-Youtuberin Andrea Russett folgen auf Snapchat rund 500'000 Fans. Diese staunten nicht schlecht über die 10-Sekunden-Filmchen, die ihr Idol während 5 Tagen Ende April hochlud: Darauf war zu sehen, wie Andrea beim Campen im Wald von grusligen Zwischenfällen heimgesucht wird. Was die Zuschauer nicht wussten: Der Horrortrip folgte einem Drehbuch – des ersten Snapchat-Films. Dieser hatte eine ähnlich kurze Lebenszeit wie die meisten Horrorfilm-Protagonisten: Wie beim «Snappen» üblich, wurden die Updates nach 24 Stunden gelöscht.
2. «The Blair Witch Project» (1999, Daniel Myrick/Eduardo Sánchez)
Aufgemacht wie eine Doku, gefilmt mit zwei wackligen Handkameras: Wer hat's nicht kurz geglaubt? Die Gerüchteküche brodelte, bevor der Horrorfilm «The Blair Witch Project» ins Kino kam: War das tatsächlich das gefundene Filmmaterial von drei Studenten, die sich auf der Suche nach der rätselhaften Hexe von Blair zu tief in den Wald wagten und und nicht wieder gesehen wurden? Um den Spielfilm noch authentischer wirken zu lassen, streute die Filmcrew vorab falsche Informationen im Internet: So unterfütterten sie den Hexenmythos mit scheinbar historischen Beweisfotos und listeten die Darsteller auf der Filmseite «IMDb» als verstorben auf.
3. «Paranormal Activity» (2007, Oren Peli)
Ein weiterer Klassiker unter den «Found Footage»-Filmen: Bei «Paranormal Activity» wird ein junges Paar in den eigenen vier Wänden von dämonischen Kräften heimgesucht. Um das Tun der Geister einzufangen, stellt das Paar in seinem Schlafzimmer eine Überwachungskamera auf: Das Publikum sieht auf der Leinwand nur das, was diese aufzeichnet. Unheimlich.
4. «Selfie from Hell» (2015, Meelah Adams)
Über 17 Millionen mal wurde der zweiminütige Film auf Youtube angeklickt: Eine junge Frau macht ein Selfie, blickt mit gespitzten Lippen in die Kamera, drückt ab – und auf dem Screen ihres Smartphones taucht auf jedem Foto eine schwarze Gestalt auf. Die Studentin Meelah Adams wollte untersuchen, was es braucht, um einen viralen Hit zu landen – offensichtlich mit Erfolg.
5. «Cannibal Holocaust» (1980, Ruggero Deodato)
Die Gewaltexzesse wurde dem Publikum als reales, aufgefundenes Material einer Filmcrew angepriesen: Der erste «Found Footage»-Film. Der Kannibalenschocker wirkte so echt, dass Deodato sich vor Gericht gegen den Vorwurf verteidigen musste, während des Drehs eine Frau gepfählt zu haben. Allerdings: Wirklich geopfert wurden Tiere. «Cannibal Holocaust», auf Deutsch mit dem sprechenden Titel «Nackt und zerfleischt» erschienen, steht in der Schweiz daher zu Recht auf der Liste verbotener Filme.
6. 11:57 (2014, Sofia Gillstrom/Henrik Leichsenring)
«11:57» ist der erste Horror-Kurzfilm, der auf «Virtuelle Realität» setzt – und den Zuschauer in die Rolle des Opfers einer Zombie-Killerin schlüpfen lässt. Zwei schwedische Designer entwarfen den 360 Grad-Horror für die VR-Brille «Oculus Rift». Ihr Versprechen: Vier Minuten mitten im Grauen – und keine Möglichkeit sich hinter einem Kissen zu verstecken.
7. «Ringu» (1998, Hideo Nakata)
Leinwand-Horror, für einmal ab Videoband: Wer sich im japanischen Film «Ringu» eine unheimliche Aufnahme ansieht, stirbt innert sieben Tagen. Die Tante eines getöteten Mädchens versucht dem Videofluch zu entkommen – erfolglos. Umso erfolgreicher das amerikanische Remake «The Ring» (2002) mit Naomi Watts: Die Schlüsselszene, in der ein schwarzhaariges Mädchen aus dem Bildschirm des Fernsehers steigt, musste in seinen Jugendjahren fast jeder mit Gänsehaut über sich ergehen lassen.
8. «Unfriended» (2014, Levan Gabriadze)
Nachdem sie wegen eines peinlichen Videos gemobbt wird, bringt eine High-School-Schülerin sich um – um sich kurz darauf auf Skype in die Videokonferenz von sechs Mitschülerinnen und Mitschülern einzuloggen. Wer das Gespräch abbricht, stirbt. Wer dranbleibt auch. Der Horrorfilm «Unfriended» spielt ausschliesslich auf dem Computerscreen einer der Schülerinnen: Diese versucht dem mysteriösen, mordenden Geist über Google, Chats und das Hacken von Polizeicodes auf die Spur zu kommen – bevor es auch für sie zu spät ist.