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Im Kino «Vincent»: Suizid für eine bessere Welt

Komischer Film, ernstes Thema: In «Vincent» träumt ein Teenager davon, mit seinem Suizid ein Zeichen gegen die miserable Welt zu setzen.

«Wie oft hast du jetzt schon versucht, dich umzubringen?» Das fragt der wohlmeinende Psychiater den Teenager Vincent.

Aber nicht, ohne ihm zuvor zu seinem mutigen Abschiedsbrief zu gratulieren – einem wahren Manifest, das ihn schwer beeindruckt habe.

Video
Trailer «Vincent»
Aus Kultur Extras vom 02.05.2017.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 11 Sekunden.

Vincent will ein Zeichen setzen

Vincent ist eigentlich ein normaler Teenager in einer flämischen Stadt. Er lebt mit seinen Schwestern, dem Stiefvater und der Mutter.

Er hat eine Freundin, die genauso für Umweltschutz und Gerechtigkeit brennt wie er. Und er möchte mit seinem Suizid ein Zeichen für eine bessere Welt setzen.

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm

Der belgische Regisseur Christophe Van Rompaey sagt, er möge seinen Antihelden darum so gut, weil er selber ein Problemkind gewesen sei. Jedenfalls behaupte das seine Mutter.

Der Kniff in Van Rompaeys Drehbuch besteht denn auch darin, dass die Mutter wahrscheinlich gestörter ist als der Sohn, ganz zu schweigen von ihrer Halbschwester Nicole, genannt Nikki, die eines Tages – Surprise! – aus Frankreich angereist kommt.

Französische Naturgewalt

Die von Frankreichs Kino- und Theaterstar Alexandra Lamy gespielte Nikki ist eine Naturgewalt. Mit ihren roten Haaren taucht sie im flämischen Halbdunkel wie ein verrücktes französisches Verkehrssignal auf.

Ihre Lebenslust ist offensichtlich. Vincent überredet sie, ihn im Morgengrauen im Auto nach Paris mitzunehmen. Um auf andere Gedanken zu kommen, wie sie glaubt. Um sich unter dem Eiffelturm öffentlichkeitswirksam selber anzuzünden, wie er hofft.

Ein Mann versucht eine Türe aufzumachen. Neben ihm steht und sitzt die Familie.
Legende: Die familiäre Realität: Sie ist nicht nur in «Vincent» bisweilen verrückt. Cineworx

Chaosfamilie auf Tour

Aber klar kommt alles anders. Denn Vincents Mutter jagt die ganze Familie im Lieferwagen ihres Mannes über die Grenze. Damit wird der Film «Vincent» zu einem doppelten Roadmovie in Richtung Südfrankreich.

Was den Film stark macht, neben seinem schwarzen Humor, ist seine Verankerung im Chaos der familiären Realität. Mutter und Tante haben mehr Probleme mit dem Konzept der Patchwork-Familie als Sohn Vincent, der nichts anderes kennt.

Vincent hat dafür Mühe mit der Vorstellung, erwachsen werden zu müssen. Was nicht überrascht, wenn man seine Vorbilder bedenkt.

Ein Film, der Grenzen überwindet

Christophe Van Rompaey überwindet viele Grenzen mit seiner Tragikomödie, jene zwischen Flämisch und Französisch, Belgien und Frankreich und schliesslich die spannendste – jene zwischen manischer Euphorie und tiefer Depression.

Aber allen Grenzüberschreitungen zum Trotz: Das ist kein Euroförderungs-Reissbrett-Produkt. Vincents flämischer Hintergrund wirkt so real wie der Kontrast seiner verregneten flämischen Herkunfts-Stadt zum surrealen Luxus eines Hochzeitsschlosses im sonnigen Südfrankreich.

Komischer Film, ernstes Thema

Es sind die realistischen Kontraste, welche die Wirkung erzielen, nicht das durchdeklinieren regionaler Klischees. Er könne selber gar nicht sagen, ob da irgendetwas typisch Flämisches im Drehbuch stecke, sagt Regisseur Van Rompaey, die Figuren und ihre Hintergründe hätten sich sozusagen «natürlich» ergeben aus der Kleinheit Belgiens und seiner eigentümlichen, politisch immer wieder brisanten Mehrsprachigkeit. Die ihrerseits im Alltag der Belgier eigentlich keine Rolle spiele.

Das mach «Vincent» zu einem der wenigen wirklich komischen Filme zu Thema Suizid, zu einem generationenübergreifenden europäischen Roadmovie. Und zu einem Film, der einem in der Schweiz schneller vertraut vorkommt, als man das Wort «Röstigraben» denken kann.

Kinostart: 4.5.2017

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 04.05.2017, 09:00 Uhr.

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