Hermeto Pascoal liegt auf dem Schragen, ein Mikrofon ist auf ihn gerichtet. Wenn er auf seinem nackten Oberkörper herumtrommelt, den Schnauz rauft und allerlei Geräusche von sich gibt, dann will er uns vielleicht schon auch zum Lachen bringen. Aber Klamauk ist das nicht – alles ist Musik für Hermeto Pascoal, und Musik ist alles. Und das ist durchaus wörtlich zu verstehen.
Alles ist Musik, sogar Motoren und Politiker
Grund für diesen allumfassenden Zugang ist Hermeto Pascoals Verständnis von Musik. Ob Motorenlärm auf der Autobahn oder die Rede eines Politikers – es sind für ihn genauso Klänge wie die Melodien der brasilianischen Folklore oder die Kompositionen von Miles Davis.
Hermeto Pascoal nennt dieses Konzept und seine Musik deshalb auch «Musica Universal». Das Universum besteht sozusagen aus Musik, und ihm, Hermeto, der fast blind ist, hat sich dieses Universum seit Kindsbeinen über Klang vermittelt.
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Sein Vater war Schmied, und schon als Kind soll er mit den verschiedenen Metall-Stücken mit seinem Vater quasi im Takt Rhythmen geklopft haben. Als 11-jähriger Bub hat er Leute dann mit seinem Akkordeon zum Tanz unterhalten, zuerst ebenfalls mit seinem Vater, einem Amateur-Musiker, bald aber alleine. Sein Vater wollte sich neben seinem fixen Sohnemann nicht schämen für sein schon bald viel schlechteres Spiel.
Jeden Tag wird geprobt, stundenlang
Nach dem Umzug vom ärmlichen Recife im Nordosten Brasiliens nach Rio de Janeiro wird der Multiinstrumentalist Hermeto bald zum Begleiter von Jedermann. Er sucht schliesslich die grosse Karriere zunächst mit einem weiteren Umzug nach New York. Prompt ruft ihn Miles Davis an, spielt mit ihm das Album «Live/Evil» ein und möchte ihn gerne mitnehmen auf Tour. Hermeto aber winkt ab: Zu wichtig sind ihm seine Sprache und seine Familie. Und Familie, das heisst bei ihm auch bald mehr als Frau und Kind.
Hermeto schart begabte junge Musiker um sich, die bereit sind, sich ganz und gar der Musik hinzugeben. Hermeto hat einen unglaublichen Output, schreibt manchmal mehrere Stücke pro Tag. Die Musiker proben am Morgen ihre eigenen Stimmen, am Nachmittag wird in der Band geprobt. Jeden Tag, stundenlang – nur der Tag nach einem Konzert ist frei.
Jeder darf seine Stücke spielen, wenn er denn kann
So schafft Hermeto Pascoal mit den Jahren eine Band, die zu den verrücktesten und gleichzeitig eingespieltesten in ganz Südamerika gehört. Seine Platten der 80er- und 90er-Jahre zeugen von einer ganz und gar eigenen und sozusagen pan-brasilianischen Musikwelt. «Slaves Mass» von 1977, «Hermeto & Grupo» von 1982 oder «Festa Dos Deuses» von 1992 sind alles hervorragende Momentaufnahmen dieses brasilianischen Genies.
Einzelne Stile blitzen auf – Frevo, Forro, Afoxé und wie sie alle heissen – aber auch Tierstimmen werden zu Musik, oder eben Sätze aus der Rede des Präsidenten Fernando Collor de Mello. Und auch wenn die Musik immer ein rhythmisches Rückgrat hat: Bei Hermeto Pascoal kann sie sich so frei entwickeln wie sonst kaum je in der brasilianischen Populärmusik.
Heute nimmt Hermeto Pascoal kaum noch auf, er hat kein Interesse am ökonomischen Aspekt seiner Kunst. Seine Kompositionen hat er alle freigegeben – jedermann darf sie nehmen und spielen. Wenn er es denn kann.