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Gesellschaft & Religion Bücher wegwerfen – darf man das?

Niklaus Meienberg, Peter Bichsel, Getrud Leutenegger, Peter Weber, Hugo Lötscher, Robert Walser – wer einen Recycler besucht, sieht Bücher von namhaften Autoren in der Mulde landen. Hunderte von Tonnen ausgelesener Bücher landen im Schredder oder in der Verbrennung. Geht das?

Bücher wegwerfen. Das war ein Tabu. Denn unsere Kultur ist eine Kultur des Buches. Angefangen beim Buch der Bücher, über das seit 2013 in der Schweiz nicht mehr existierende blaue Telefonbuch auf Papier bis zum günstigen Angebot am Bahnhofkiosk. Das Buch ist überall. In Massen. Und es kostet kaum noch etwas, ausser jemand bevorzugt typografisch und herstellerisch aufwändige bibliophile Produkte. Und da es so billig ist, ist es nicht mehr viel wert.

Die Buchhändler klagen nicht nur des Eurokurses wegen über Umsatzrückgänge: Das E-Book gewinnt auch in Europa langsam an Bedeutung, und die elektronischen Medien fressen dem potentiellen Lesepublikum die Zeit weg, während der es sich mit gedrucktem Text beschäftigen könnte.

Bücher landen in der Mulde

Das Kulturgut Buch landet in der Mulde, beim Recycler oder gleich in der Verbrennung. Denn wegen Kunststoffanteilen und Fremdstoffen sind alte Bücher kein sehr gefragtes Recyclingmaterial.

«Mein Motto lautet: ‹Bücher machen glücklich› – und diese Art des Glücks sollte man nicht vernichten», sagt Anne Rüffer. Mit ihrem Verlag «rüffer & rub» verlegt sie Sachbücher und ist zudem selbst Romanautorin. Sie trenne sich «nur schwersten Herzens» von ihren ausgelesenen Büchern. Meist verschenkt sie sie an jemanden, der davon vielleicht inhaltlich profitieren könne, sagt Rüffer. Bei der Gründung ihres Verlags im Jahr 2000 habe sie sich geschworen, keine Bücher zu vernichten.

Ein zweites Leben für ein Buch

Portrait Anne Rüffer
Legende: Sie beschert Büchern ein erstes und ein zweites Leben: Autorin und Verlegerin Anne Rüffer. ZVG / Mali Lazell

Unverkäufliche Exemplare ihres Verlages versucht sie auf kreative Weise unterzubringen: Sie sucht Paten, die diese Bücher günstig kaufen und dann verschenken, etwa einen Hotelier, der seinen Gästen ein «Kopfkissenbuch» ins Zimmer legt oder Reiseveranstalter, die ein Buch fürs Handgepäck spendieren.

Eineinhalb Jahre dauere es in der Regel von der ersten Idee zum fertigen Buch, sagt Anne Rüffer, und die Arbeit sehr vieler Menschen stecke darin. Allein schon deshalb hat sie Respekt vor Büchern. Obwohl sie sich als Verlegerin natürlich immer frage: «Braucht die Welt dieses Buch wirklich?»

Besonders gern wirft niemand seine Bücher aus dem Regal, das zeigt eine Reportage von Erwin Dettling. Manchen schmerzt gar das Herz, denn «es gibt Dinge, die tut man nicht mit Büchern», wie Christel Göth von der Stadtbibliothek Winterthur sagt. Aber im Allgemeinen scheint Pragmatismus zu herrschen: Ich brauche Platz, habe zu viele Bücher, manche ewig nicht mehr angeschaut – weg damit! Das Buch ist ein Gegenstand wie viele andere.

Der «weiche Weg» der Entsorgung

Lässt sich an der grossen Zahl der Bücher, die im Abfall landen, ein Wandel in der Beziehung der Menschen zum Buch ablesen? Hat die Wegwerfmentalität nun das Buch erreicht? Der Besuch bei einem Winterthurer Recycler spricht dafür: Tonnen von Büchern werden hier zerstückelt.

Andererseits wählen viele, die ihre Bücher entsorgen, mit Bedacht einen «weicheren» Weg: Die aussortierten Bände wandern ins Brockenhaus, zum Antiquar, mit dem Vermerk «gratis» auf ein Mäuerchen im Quartier oder in einen der offenen Bücherschränke, die mittlerweile in jedem grösseren Ort zu finden sind. Dorthin können alle bringen, was sie nicht mehr brauchen, und mitnehmen, was ihnen gefällt. Manchen Büchern blüht ein zweites Leben.

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