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Gesellschaft & Religion Campino: «Die Kanzlerin ist so etwas wie der Sportkommentator»

Campino ist eine laute und wichtige Stimme im deutschen Rock. Und eine politische: Im Interview spricht der Toten-Hosen-Frontmann über den flauen deutschen Wahlkampf, aalglatte Politiker und wieso Wählen keinen Spass mehr macht.

Der Eindruck mag täuschen, aber am 22. September ist in Deutschland Bundestagswahl. Ein Neuer möchte die Kanzlerschaft von Angela Merkel übernehmen. Doch der deutsche Wahlkampf ist so flau wie selten zuvor. Am Rande des Gurtenfestivals in Bern hat SRF genau darüber mit Campino gesprochen, der als Frontmann der Toten Hosen die Bühnen seit Jahrzehnten rockt – der aber immer auch den Politbetrieb und die Befindlichkeiten im Blick hat.

In zwei Monaten wird in Deutschland gewählt, hier wird dieser Wahlkampf als eher flau wahrgenommen. Bringt denn wenigstens das Thema Überwachung – Prism, NSA – etwas Bewegung in die Sache?

Nein, überhaupt nicht. Da müssen alle Parteien dieselbe Linie fahren. Alle, die gewählt werden können, waren ja schon mal in Regierungsverantwortung – die haben sich da alle bekleckert, das wird nicht das grosse Thema sein. Es ist richtig, dass der Wahlkampf bisher sehr flau verläuft, man kennt eigentlich jetzt schon den Wahlausgang. Es ist schade, dass es keine Alternative zu Merkel zu geben scheint.

Peer Steinbrück ist keine Alternative?

Absolut nicht, ich glaube nicht, dass er sich durchsetzen kann. Man hat auch nie den Eindruck, dass die SPD selber daran glaubt. Merkel hat sich einen Namen gemacht als relativ praxisnahe Person, sie ist kein Parteisoldat und hat Dinge gemacht, die man der CDU nicht zugetraut hätte. Sie ist oft sehr passiv, aber das ist in gewissen Situationen das Beste, was man machen kann.

Wir alle überschätzen vielleicht auch die Position einer Kanzlerin oder der Regierungspartei. Die wirklich harten Entscheidungen fallen in der Wirtschaft. Manchmal ist die Kanzlerin auch nur so etwas wie der Sportkommentator beim Spiel. Sie kann versuchen, das irgendwie in nette Worte zu fassen. Aber wenn ein Riesenkonzern Entscheidungen trifft, steht sie auch nur staunend daneben und muss die Sache akzeptieren.

Die deutsche Kanzlerin hat also eigentlich keine Fehler gemacht, nicht mal dass sie in Vielem sehr passiv war?

Ihr kommt zupass, dass man ihr persönlich nie etwas auch nur annähernd Skandalöses unterstellen konnte. Sie nimmt sich keine speziellen Rechte raus, sie lebt recht bodenständig, hat die Fähigkeit, angemessen zu kommentieren, sie wirkt nie grosskotzig und hat es mittlerweile geschafft, sich in der Aussenpolitik einen guten Ruf zu erspielen. Wenn man dagegen sieht, wie sich bei der Konkurrenzpartei Steinbrück und Kollegen gegenseitig in die Knie schiessen – da steht der Wähler nicht drauf.

Angela Merkel ist oft sehr passiv, aber das ist in gewissen Situationen das Beste, was man machen kann.

Am Anfang schien es ja so, als hätte Peer Steinbrück Schwung. Diesen hat er jedoch völlig verloren. Hat die SPD also den falschen Kandidaten ausgewählt?

Das Problem ist, dass die Personaldecke an guten Politikern in Deutschland sehr dünn geworden ist. In der Generation davor hat man, speziell bei den Grünen, noch Leute gehabt, die in den Gründerjahren dabei waren und auf die Strasse gegangen sind. Jede Menge Politiker hatten da noch die Mission, dieses Land besser zu machen, da ging’s nicht nur um Karriere.

Jetzt hat man immer mehr den Eindruck, dass einige Leute voll professionell im Geschäft sind. Völlig Wurst welche Partei, Hauptsache man hat die besten Aufstiegsmöglichkeiten. Das ergibt so eine aalglatte Linie, die Politiker sind in der Lage, Salti zu veranstalten, wenn sie merken, dass etwas nicht gut ankommt. Bestes Beispiel ist die FDP, eine Partei, die im wahrsten Sinne des Wortes zurzeit überflüssig ist.

Sie würden Guido Westerwelle also, sollte er abgewählt werden, keine Träne nachweinen?

Nein, aber man muss ihm zugestehen, dass er es Gott sei Dank in letzter Zeit irgendwie geschafft hat, sich aus den gröbsten Peinlichkeiten rauszuhalten. Er hat sich zurückgenommen und kriegt die Sache jetzt einigermassen hin. Am Anfang war es eine Vollkatastrophe. Inzwischen gibt es andere Leute, die sich mehr bekleckert haben. Das Thema Westerwelle ist vorbei, aber er wird natürlich keine historische Figur sein.

Sie sind ja ein erklärter Grünen-Wähler. Fehlt dieser Partei eine Gallionsfigur im Stile von Angela Merkel oder Joschka Fischer?

Die Grünen haben natürlich viel an Profil und Kantigkeit verloren über die Jahre. Aber das ist eine völlig normale Entwicklung auf dem Weg hin zu einer Partei, die Regierungsverantwortung übernehmen kann. Als Wähler beobachte ich, dass es sich die Partei nie leicht gemacht hat und es beinharte Auseinandersetzungen gab. Obwohl ich weiss Gott nicht alles gut finde, fühl ich mich bei den Grünen mit meiner Meinung am besten aufgehoben. Die Partei hat es geschafft, gewisse Grundwerte zu behalten auf ihrem langen Weg. Gewisse Regeln des Anstands sind da doch eher zu finden als bei anderen Parteien.

Die Chancen der Grünen sind derzeit recht gut. Zum Teil haben sie in den Bundesländern wieder Regierungsverantwortung, etwa Baden-Württemberg.

Meiner Meinung nach haben die Grünen in der Verantwortung noch nie klar versagt. Sie haben die Dinge nicht wesentlich besser hingekriegt, aber es gab auch noch nie den totalen Zusammenbruch oder eine Bankrotterklärung.

Solange ich nicht zuhause sitze und das Schicksal gar nicht mehr mitbeeinflusse, geb ich also meine Wählerstimme ab. Nicht-Wählen ist keine Alternative, auch wenn’s wirklich keinen Spass mehr macht, an die Urne zu gehen.

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