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Der 1. Weltkrieg Der weichgezeichnete Weltkrieg in «Downton Abbey»

Die zweite Staffel der TV-Serie «Downton Abbey» spielt in der Zeit des Ersten Weltkrieges. Geschichtsprofessorin Dina M. Copelman findet, die Darstellungen darin werden dem wahren Leiden des Krieges nicht gerecht. Eine Kritik.

Achtung: In diesem Artikel werden einige Einzelheiten aus der Geschichte verraten. Falls Sie die Serie noch nicht gesehen haben, speichern Sie sich diesen Artikel für später.

Zur Autorin

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Dina M. Copelman ist Geschichtsprofessorin an der amerikanischen George Mason Universität. Für den amerikanischen NPR-Sender WETA hat sie die Ereignisse in «Downton Abbey» für die Staffel 2, 3 und 4 mit der Realität verglichen.

Für Millionen amerikanischer «Downton Abbey»-Fans ist es bereits 1923, und sie warten gespannt auf die fünfte Staffel der Sendung. Doch in Wirklichkeit ist es 2014, 100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und eine Zeit voller grausamer Gewalt und Konflikte: Irak, Gaza, der Abschuss von Zivilflugzeugen.

Diese aktuellen Konflikte scheinen mit der Achtlosigkeit und Schnelligkeit eskaliert zu sein, wie der Krieg, der alle Kriege hätte beenden sollen: der Erste Weltkrieg. Deswegen bin ich zur zweiten Staffel von «Downton Abbey» zurückgekehrt, die 1916 startet, um zu sehen, wie mich die Sendung sich mit diesem gestiegenen Bewusstsein von Konflikten und Gewalt berührt.

Beschönigter Krieg

Noch immer verführt mich die Sendung mit ihrem tollen Schauspiel und den exquisiten Kulissen. Doch es ist anders. Es ist schwieriger, sich auf die Earls einzulassen, die Töchter, die Crawley und das ganze «Downton»-Drama – das beschönigte Porträt der Kämpfe aus dem Schützengraben ist erschütternder. Der Horror des Krieges ist sichtbar, aber nicht fühlbar: Der Schlamm, die Ratten, die Läuse, der lähmende Gestank, die Krankheiten, die Langeweile (und noch mehr Langeweile, durchsetzt mit ständiger Todesangst und ständiger Lebensgefahr). Das war Alltag.

Sendehinweis

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Legende: Keystone

SRF sendet die letzten zwei Folgen der 2. Staffel «Downton Abbey» am Montag, 4. und 11. August, jeweils um 22.25 Uhr auf SRF 1.

In der Sendung erleiden einige Charaktere Verletzungen oder sterben gar. Doch einer ist der hauptsächliche Vertreter des lange anhaltenden Kriegsleidens: Der neue, vom Krieg traumatisierte Kammerdiener, steht für den anfänglichen Enthusiasmus, der sich in Reue, Desillusionierung, Wut, Verlust und Trauer allgemein verwandelt hat. Doch ein einziger, nicht mal zentraler Protagonist kann dies Bürde nicht tragen.

Nun, da ich die zweite Staffel zum zweiten Mal sehe, wirkt das Porträt des Krieges fast vornehm.

Kein Entkommen vor dem Krieg

Die Sendung schafft es zwar zu zeigen, wie der Krieg alle Klassen und jede Familie betraf. Der Graf, der seine schicke Uniform liebte, war nicht zu alt um zu dienen, bekommt aber die Chance nicht. Studenten von Oxford und Cambridge ziehen nach Frankreich, statt in die Universität zurückzukehren. Arbeiterfamilien müssen ohne das Einkommen ihrer Väter und Söhne überleben. Frauen arbeiteten in Munitionsfabriken, während die Kinder in der Schule gedrillt werden. Alles scheint sich zu ändern.

Ebenfalls war niemand immun vor der Grippe, die sich nach dem Krieg wie ein Lauffeuer verbreitete. Doch: Warum war Lord Grantham nicht mehr besorgt von den politischen Entwicklungen? 1915 stand die linke Regierung vor vielen Herausforderungen, fehlenden Schützengraben zum Beispiel. 1916 wurde die Wehrpflicht eingeführt, die die Schwächen des britischen Freiwilligendienstes entblösste. Eine umstrittene Koalition entstand – mit den Linken zwar offiziell an der Macht, aber den Konservativen mit der Kontrolle. Die damals neue Labor-Partei wurde ins Kabinett gebracht und setzte zum Aufstieg zu einer der zwei wichtigsten Parteien an. Interessierte das Lord Grantham gar nicht?

Das isolierte Schloss

Zwar ist der Krieg in jedem Bild zu sehen, doch Downton scheint isoliert. Mysteriöse mögliche Erben, die in einer Folge erscheinen und in der nächsten verschwinden. Impotenz, die in kürzester Fernsehzeit geheilt wird. Revolutionäre Chauffeure, die Töchter eines Grafen heiraten. Wenn diese Geschichtsstränge zeigen sollen, wie der Krieg unvorhergesehene, nie dagewesene Situationen schuf, versagen sie. Vielmehr scheinen sie wenig plausibel und verschwenden kostbare Zeit, die man für mehr Tiefgang bei unseren liebsten Charakteren hätte verwenden können.

Noch ein anderer Gedanke kam auch auf, während ich den Krieg im Fernsehen sah: Im Krieg erhielten einige Soldaten Pakete mit Köstlichkeiten aus den schönsten Läden Londons. Männer lasen Gedichte und Hefte, es gab sogar Schützengraben-Magazine. Wer weiss, auf welche andere Arten die Männer dem Krieg entflohen?

Eine Flucht von dieser Welt in eine andere

Dies erinnert uns an eine Möglichkeit, mit der harten Realität zurecht zu kommen: Indem man Schönes findet, um zu entfliehen. «Downton Abbey» ist nicht zum internationalen Phänomen geworden, weil es uns eine verrückt gewordene Welt erklärt. Es ist eine Flucht von dieser Welt: voll von Menschen, die viel zu gut sind, um wahr zu sein. Darum lieben wir sie. Und wir können uns diese Flucht gönnen, wenn auch nur für eine Stunde in der Woche.

Übersetzung: Michaël Jarjour

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