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Der 1. Weltkrieg Erster Weltkrieg: Im Mahlwerk des Todes

Der Erste Weltkrieg war das Urtrauma des 20. Jahrhunderts. 17 Millionen Tote, 20 Millionen Verwundete und die gigantische Vernichtung materieller Ressourcen. Das war die katastrophale Bilanz des bis dahin grössten Krieges aller Zeiten.

Der Epochenbruch des Ersten Weltkriegs markierte eine fundamentale Krise der Moderne. Zugleich war der Erste Weltkrieg auch die Keimzelle späteren Unheils. Alles, was später noch folgte an Schrecklichkeiten, wäre ohne die Schlächtereien der Jahre 1914 bis 1918 nicht denkbar gewesen: Weder die Machtergreifung der Bolschewiki 1917 noch die Verbrechen des Stalinismus.

Buchhinweise

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Legende: DVA

Christopher Clark: «Die Schlafwandler – Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog.» DVA, 2013.

Herfried Münkler: «Der grosse Krieg – Die Welt 1914 bis 1918.» Rowohlt, 2013.

Weder die deutsche Wirtschaftskrise der 1920er Jahre, die in eine verheerende Depression mündete, noch der Aufstieg des Nationalsozialismus, der in das Menschheitsdebakel des Zweiten Weltkriegs führte. Die grossen Totalitarismen des 20. Jahrhunderts – die Forschung ist sich einig, dass sie in den von Giftgasschwaden umwaberten Schützengräben des Ersten Weltkriegs geboren wurden.

Die Verantwortung aller Grossmächte

«Der Erste Weltkrieg war ein Epochenbruch», resümiert der britisch-australische Historiker Christopher Clark. «Und zwar der katastrophalste Epochenbruch, der sich denken lässt. Der Krieg hat eine ungeheure Menge Gift ausgestossen, er hat die europäische Politik vergiftet und das gesamte internationale System aus den Fugen gehoben.»

Mit seinem Buch «Die Schlafwandler» hat Clark eine vielbeachtete Studie über den Ausbruch des Weltkriegs geschrieben: über die chaotischen Wochen der «Julikrise» 1914, die dem Ausbruch des Kriegs voranging.

Hypothesen von einer Hauptschuld des deutschen Kaiserreichs am Ersten Weltkrieg erteilt Christopher Clark eine Absage. «Alle Grossmächte tragen einen Teil der Verantwortung am Ausbruch des grossen Mordens», meint der 54-jährige. «Ich kann da keinen Hauptverantwortlichen erkennen. Die Entscheidungsträger aller beteiligten Nationen waren bereit, mit dem Risiko eines Kriegs zu spielen, und sie haben den grossen europäischen Krieg, der dann folgte, in schrecklicher Verkennung der furchtbaren Folgen in Kauf genommen.»

Die ungeheure Komplexität dieses Krieges

In Christopher Clarks Sicht der Dinge war die «Julikrise» eine hoch komplizierte spieltheoretische Anordnung. Es waren fünf europäische Grossmächte, inklusive Italien sechs, die nach dem folgenschweren Attentat von Sarajewo miteinander in «real time» interagierten, ohne zu wissen, welche Ziele die jeweils anderen Akteure verfolgten. Dazu kamen Serbien und die kleineren Balkanstaaten, deren Bedeutung man in der Zeitgeschichtsforschung lange Zeit eher unterbewertet hat. Und natürlich das Osmanische Reich, auch ein wichtiger Player im unüberschaubaren Spiel.

Aus dieser Gemengelage ergab sich eine ungeheure Komplexität, wie Christopher Clark in seinem Buch herausarbeitet. Dabei hatten die führenden Akteure selbst keinen Überblick über das Gesamtgeschehen. Sie hatten im Grunde genommen keine Ahnung, welche Ziele und Strategien ihre Feinde, aber auch ihre Freunde verfolgten. Christopher Clark meint: «Diese Krise war das komplexeste machtpolitische Ereignis der modernen Zeit, vielleicht aller Zeiten.»

Der Untergang der Belle Epoque im «Stahlgewitter»

Schwarz-Weiss-Aufnahme eines Schützengrabens
Legende: Die Schützengräben des Ersten Weltkrieges sind der Ursprung allen Totalitarismus des 20. Jahrhunderts. Keystone

In technischer Hinsicht markierte der Erste Weltkrieg, der dann folgte, eine apokalyptische Apotheose der Moderne. In politischer und soziokultureller Hinsicht, darauf wird in der Forschung immer wieder hingewiesen, lässt sich der «Grosse Krieg» zwischen 1914 und 1918 als Ausdruck einer tiefgreifenden Transformationskrise der Moderne interpretieren.

Die verfaulenden Vielvölkermonarchien Österreich-Ungarns, Russlands und des Osmanischen Reichs gingen in den «Stahlgewittern» des Ersten Weltkriegs ebenso unter wie die Belle Epoque, die Autoren wie Marcel Proust, John Galsworthy oder Arthur Schnitzler so glanzvoll beschrieben haben.

Die Briten haben ihre Macht überdehnt

Zu den grossen Verlierern des Kriegs zählten aber nicht nur die Mittelmächte, sondern auch das britische Weltreich. Der Erste Weltkrieg markierte den Anfang vom Ende des britischen Empire, obwohl Grossbritannien formal zu den Siegermächten des blutigen Völkerringens gehörte. «Die Briten treten in diesen Krieg als Gläubiger der Welt ein und verlassen ihn als Schuldner der USA», erklärt der in Berlin lehrende Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Mit seiner Studie «Der grosse Krieg» hat Münkler ein ebenfalls viel diskutiertes Werk über den Ersten Weltkrieg» vorgelegt.

Die Briten, so meint der 63-jährige Politologe, hätten ihre Macht im Ersten Weltkrieg schlicht und einfach überdehnt. Die politischen Eliten Londons waren davon ausgegangen, dass sie die Macht in den Kolonien, die sie ab 1914 kriegsbedingt vernachlässigen mussten, nach dem Krieg wieder aufnehmen könnten. Ein Irrtum. «Für Grossbritannien war es der falsche Krieg», analysiert Herfried Münkler. «1918 sind die Briten erschöpft. Weltpolitisch und militärisch sind die USA an ihre Stelle getreten. Die Verantwortlichen in London haben versucht, das Empire zu retten; sie haben es eigentlich schon in diesem Krieg verloren. Danach war nämlich sichtbar, dass Grossbritannien nicht mehr in der Lage ist, den Weltpolizisten zu spielen.»

Der neue «Weltpolizist»

Das sind fortan die USA – die nach dem Desaster des Ersten Weltkriegs nach und nach in die Rolle der globalen Supermacht schlüpfen und damit Grossbritannien, den «Welthegemonen» des 19. Jahrhunderts, ablösen.

Und heute? Was lässt sich aus den verhängnisvollen Erfahrungen des Ersten Weltkriegs lernen? Lässt sich überhaupt etwas lernen? «Natürlich», meint Herfried Münkler. «Heute haben wir in Ostasien eine ähnliche machtpolitische Konstellation wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Europa. China hat sich zu einer dynamischen und mächtigen Industrienation entwickelt, fühlt sich aber von seinen Nachbarn nicht anerkannt – das erinnert doch stark an die Situation des Deutschen Reichs vor 1914. Da wird man aufpassen müssen.»

1914 ist näher als gedacht

Ähnlich die Einschätzung Christopher Clarks: Wir seien 1914 heute näher als uns bewusst sei, diagnostiziert der in Cambridge lehrende Historiker. Allerdings mehr aus einer globalen denn einer rein europäischen Perspektive. «Wir leben in einem mulitpolaren Mächtesystem», so Clark: «Die USA sind nicht länger fähig und willens, die Rolle des Weltpolizisten so wie früher zu spielen. Das bringt eine grosse Unsicherheit und viele Unvorhersehbarkeiten mit sich. Wir leben an der Schwelle einer gefährlichen Zeit, würde ich meinen, einer Zeit, die sich durchaus mit den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg vergleichen lässt. Insofern sind die Zeitgenossen von 1914 unsere Zeitgenossen.»

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