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Von der Plage zur Delikatesse Die Heuschrecke als Mahlzeit und göttliche Luftwaffe

Was in der Schweiz bald neu im Lebensmittelladen erhältlich sein soll, ist eigentlich ein alter Hut. Schon vor Jahrtausenden grillierten und frittierten Menschen Heuschrecken.

  • Stellen aus der Bibel und der Tora belegen, dass Heuschrecken in der Antike eine gängige Mahlzeit waren.
  • Im Judentum gelten nur bestimmte Heuschrecken als koscher, der Insekten-Verzehr ist daher umstritten.
  • Im Alten Testament kommen Heuschrecken nicht nur als Nahrungsmittel vor, sondern auch als göttliche Plage für Ungläubige und Sünder.

Die besten Essensgeschichten über Heuschrecken liefern nicht moderne Kochblogs, sondern Schriften, die mehr als 2000 Jahre alt sind. Für die alten Ägypter, Babylonier und Assyrer war es selbstverständlich, Heuschrecken zu verspeisen.

Anders als heute waren sie weder Mode- noch Lifestyleprodukt, sondern Alltagsessen: etwa gedörrt, auf Kohlen geröstet, in Salzwasser gekocht oder in Butter gebacken.

Eine göttliche Luftwaffe

Prominent kommen die Heuschrecken auch in der Bibel vor. Hier werden sie aber nicht nur als Nahrungsmittel erwähnt, sondern auch als Massenvernichtungswaffe. Heuschrecken können, wenn sie in grossen Schwärmen einfallen, innerhalb kürzester Zeit Ernten vernichten und Hungersnöte verursachen.

Eine grüne Heuschrecke.
Legende: «Mmh» oder «Igitt»? Heuschrecken essen galt früher als normal. Flickr/Daniel Schiersner

Laut biblischer Überlieferung wollte Gott die Ägypter dafür bestrafen, dass diese das Volk Israel als Sklaven knechteten. Gott sandte zehn Plagen – darunter auch die Heuschrecken, die die Ernte der Ägypter zunichtemachten. Die Heuschrecke wird in der Bibel so eine Art göttliche Luftwaffe.

Auch das Neue Testament erwähnt Heuschrecken. Johannes der Täufer lebte zeitweise in der Wüste und soll sich von Heuschrecken und wildem Honig ernährt haben. Eiweiss und Zucker, das ergab eine sehr nahrhafte Mahlzeit.

Heuschrecken werden zu Sossen und Chips

Zentraler ist die Heuschrecke in der Offenbarung des Johannes, auch Apokalypse genannt. Ähnlich wie bei den zehn Plagen im Alten Testament nehmen die Heuschrecken auch hier die Rolle einer göttlichen Luftwaffe ein, allerdings klingt das ganze martialischer. Hier ist von Heuschrecken und ihrem König Abaddon die Rede, die ungläubige Menschen fünf Monate lang quälen werden.

Insekten essen

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Insgesamt tauchen die Heuschrecken in der Bibel an über 50 Stellen auf. Auch in den rabbinischen Schriften sind sie Thema, erklärt der Basler Rabbiner Moshe Baumel. Dort finden sich konkrete Hinweise auf Heuschrecken-Sossen und Heuschrecken-Chips. Das lässt auf eine gängige Esskultur im Altertum schliessen.

Sind Insekten koscher?

Doch ganz so einfach war die Sache dann auch wieder nicht: Nicht alle Heuschrecken sind koscher. Die Tora erlaubt nur den Konsum von bestimmten Heuschrecken.

Das war, vermutet Rabbiner Baumel, den Menschen aber irgendwann zu kompliziert. Die aschkenasischen Juden, also Juden aus Mittel- und Osteuropa, strichen die Heuschrecken daher vom Speiseplan. Die sephardischen Juden – sie stammen aus Spanien und Afrika – hielten jedoch an der Tradition fest.

Doch immer wieder sorgte das für Diskussionen. Im 19. Jahrhundert etwa habe es in Marokko einen grossen Streit unter Rabbinern gegeben, ob Heuschrecken nun koscher seien oder nicht, berichtet Rabbiner Baumel.

Heute eher ethische Bedenken

Besonders unter Juden aus dem Jemen sei der Heuschrecken-Konsum noch weit verbreitet, meint Rabbiner Baumel. Auch in Israel gebe es viele Restaurants mit koscheren Heuschrecken auf der Speisekarte.

Laut der Berner Theologin Silvia Schroer gibt es nicht nur biblische, sondern auch viele andere Zeugnisse, die vom Heuschrecken-Konsum berichten. Dennoch steht sie dem kulinarischen Hype kritisch gegenüber.

«Für mich sind Fragen der Nachhaltigkeit wichtig», meint die Theologin. Sie gibt zu bedenken, dass die Heuschrecken aufwändig gezüchtet und dann über teils lange Autobahnwege zum Verbraucher transportiert würden.

Der Heuschrecken-Verzehr ist für Schroer also weniger eine Frage der Religionsgeschichte als eine Frage der Ethik.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 23.05.17, 9:03 Uhr

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