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Gesellschaft & Religion «Dr. Ruth» flüchtete als Kind vor den Nazis – in die Schweiz

Ruth Westheimer, die berühmteste Sexberaterin der USA, kommt jedes Jahr in die Schweiz auf Besuch. Hier lebt ihre Freundin Ilse Wyler, mit der sie als Kind gemeinsam Schutz vor den Nazis fand. Mehrere Jahre verbrachte sie in der Schweiz – es war die wohl schwierigste Zeit ihres Lebens.

Ruth Westheimer, bekannt als «Dr. Ruth», ist in den USA mit der ihr eigenen Verbindung von Sachkunde, Lebenserfahrung und Mutterwitz zur gefeierten Medienpersönlichkeit geworden, der nichts Menschliches, jedenfalls soweit es die menschliche Sexualität betrifft, fremd ist.

Zur Person

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Ruth Westheimer, 1928 in Wiesenfeld/Karlstadt geboren, gilt als berühmteste Sextherapeutin der Welt. Bekannt wurde sie vor allem durch die Radiosendung «Sexually Speaking» (ab 1980 auf den Sendern von NBC). Auch heute noch, mit fast 90 Jahren, gibt sie in Talkshows, Videos und Büchern Tipps für ein erfülltes Sex- und Liebesleben.

Weniger bekannt ist, dass Ruth Westheimer 1938 als 10-Jährige aus Frankfurt in die Schweiz kam – im Rahmen eines Transports von 300 jüdischen Kindern, zu deren Aufnahme sich die Schweiz nach der Flüchtlingskonferenz von Évian verpflichtet hatte. Alle waren unter sechzehn, alle ohne Eltern. Sechs Monate sollten sie bleiben und die Familien in dieser Zeit die Auswanderung aus Nazideutschland vorbereiten. Was nie gelang. Aus sechs Monaten wurden sechs Jahre.

Beginn einer langen Freundschaft

Für Ruth Westheimer, die streng religiös erzogen worden war, fand sich kein geeigneter Pflegeplatz in einer jüdischen Familie. Darum kam sie ins vom jüdischen Frauenverein Zürich betriebene und finanzierte Kinderheim «Wartheim» in Heiden, Appenzell. Dort lernte sie ihre Freundin Ilse Wyler-Weil kennenlernt.

Ilse Wyler-Weil kam mit acht Jahren nach Breisach am Rhein, wo sich ihr aus Strassburg stammender Vater niederliess, nachdem er im Ersten Weltkrieg als Soldat auf deutscher Seite gedient hatte. Er wurde, wie der Vater von Ruth Westheimer, nach der Reichskristallnacht am 10. November 1938 verhaftet und in ein «Arbeitslager» überstellt. Die Verhaftung der Väter hat den beiden Mädchen den lebensrettenden Platz auf dem Kindertransport verschafft.

Zwei ältere Frauen sitzen nebeneineinander (links Ruth Westerheimer mit Brille).
Legende: Ihre Freundschaft hält bis heute: Ruth Westerheimer und Ilse Wyler-Weil. Stephen Tree

Grosse Dankbarkeit für die Schweiz

Heute betont Ruth Westheimer, wie sehr sie sich der Schweiz verpflichtet fühle. Sie macht jedes Jahr Bergferien und besucht Ilse Wyler-Weil in Uster. Dort stellen sich die beiden auch dem Interview, das selbst Medienprofi Ruth Westheimer nicht leicht fällt. Denn die Zeit, als sie in die Schweiz kam, war die wohl schwierigste ihres Lebens: Aus einem geliebten und behüteten Kind wurde eine Empfängerin offiziöser Wohltätigkeit, die zugleich begriff, dass sie sich, bei allen Nöten, glücklich zu schätzen hatte.

Zusammenhalt in der Gruppe

Ruth Westheimer verschweigt aber auch nicht, dass sie im Kinderheim Wartheim zwar ordentlich ernährt, gekleidet und versorgt, aber, von wenigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen, recht lieblos betreut wurde. Die Berufe, die man die Kinder lernen liess, waren alle auf das Praktische, Handwerkliche ausgerichtet. Bei den Mädchen beschränkte sich das auf Haushalt und korrekte Haushaltführung mit Diplomabschluss.

Und dies zu einer Zeit, während der die Briefe von zu Hause immer mehr ausblieben und das Kinderheim allmählich zum Waisenhaus wurde. Dass sie das «psychologisch überlebt» haben, schreibt Ruth Westheimer dem Zusammenhalt der Kinder innerhalb der Gruppe zu. Der bestand nach 1945 weiter, obgleich viele, darunter auch sie selbst, wie von den Behörden gewünscht, das Land wieder verlassen hatten.

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