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Parc Adula Ein Park für die Menschen – nicht nur für die Natur

Braucht die Schweiz einen neuen Nationalpark? Über diese Frage entscheiden dieses Wochenende 17 Gemeinden im Tessin und Graubünden. Der Park gilt als Chance für wirtschaftliche Entwicklung. Und verkörpert somit einen weltweiten Trend.

  • Die Diskussion um den geplanten Nationalpark Adula wird kontrovers geführt, die Widerstände sind gross.
  • Gegner fürchten sich vor Fremdbestimmung durch Behörden und vor neuen Verboten.
  • Befürworter sagen: Der Park soll Touristen anlocken, neue Arbeitsstellen schaffen und die regionale Wirtschaft stärken.
  • Namibia zeigt wie's geht: Gemeinden verwalten die Schutzgebiete selbständig, kümmern sich um den Schutz der Tiere, beschäftigen Parkwächter – und verdienen an der steigenden Zahl von Touristen.

Lokaltermin am Stammtisch in der Ustria Cruna in Sumvitg, einem kleinen Bündner Dorf im Vorderrheintal zwischen Illanz und Disentis. Rund um den grossen Tisch sitzt eine Gruppe Einheimischer.

«Ein Projekt der Städter»

Einer von ihnen ist Flavian Bearth, ein junger Mann mit schwarzem Vollbart und breiten Schultern. Er ist gelernter Ofenbauer, Jäger und ein erklärter Gegner des geplanten Nationalparks. So wie alle hier am Tisch. «Ich liebe die Natur», sagt er. Neue Verbote wolle er aber keine. «Die Natur hier oben ist bereits heute intakt».

Der Mann neben ihm stimmt zu. Ein Jäger auch er, aber einige Jahre älter. Der Nationalpark sei ein Projekt der Städter sagt er. «Die wollen ihr Gewissen beruhigen, weil sie im Flachland die ganze Natur kaputt gemacht und verbaut haben.» Ihnen müsse hier oben niemand sagen, wie sie mit der Natur umzugehen hätten.

Viele Vorurteile in den Dörfern: Ein Plakat in der Gemeinde Trun wirbt für ein Ja zum Parc Adula.
Legende: Viele Vorurteile in den Dörfern: Ein Plakat in der Gemeinde Trun wirbt für ein Ja zum Parc Adula. Keystone

Grosse Widerstände in den Gemeinden

Früher an diesem Abend Ende Oktober hatten die Initianten des Parkprojekts einen ihrer letzten grossen Auftritte vor der Abstimmung. Im Gemeindehaus von Sumvitg versuchten sie noch einmal, die Einwohner von den Vorteilen eines Parks zu überzeugen.

Die Diskussion wird kontrovers geführt, die Widerstände sind gross. Die Gegner fürchten sich vor einer Fremdbestimmung durch Behörden und Umweltverbände und vor neuen Verboten.

Über hundert Einheimische waren gekommen, um den Parkplanern zuzuhören. Der Gemeindesaal war bis auf die letzten Plätze gefüllt. Einer der Parkplaner ist Rico Tuor. Er ist ein paar Dörfer weiter aufgewachsen und erklärte noch einmal, worüber sie Ende November genau abstimmen.

Eine Fläche, grösser als der Kanton Uri

Der Parc Adula wäre der grösste Nationalpark der Schweiz und einer der grössten Überhaupt. Das Gebiet würde sich von hier südwärts über das Bleniotal, Vals und Nufenen, weiter ins Tessin erstrecken, ins Misox und Calancatal. 17 Gemeinden. 1200 Quadratkilometer. Eine Fläche, grösser als der Kanton Uri.

Zentrum des Parks wäre eine sogenannte Kernzone rund um die Greinaebene auf rund 2500 Meter. Das Gebiet steht bereits heute zu einem Grossteil unter Naturschutz. Neue Verbote kämen nur wenige hinzu. Zusätzlich ist unter anderem ein Wegegebot vorgesehen und die Alpwirtschaft wäre nur noch eingeschränkt möglich.

Der Mensch soll Teil des Projekts sein: Ein Wanderer auf dem Gipfel des Pizzo Cassinello im geplanten Park Adula.
Legende: Der Mensch soll Teil des Projekts sein: Ein Wanderer auf dem Gipfel des Pizzo Cassinello im geplanten Parc Adula. Keystone

Der Parc Adula soll Touristen anlocken

Nebst der Kernzone würde auch eine deutlich grössere Umgebungszone zum Park zählen, wo keine zusätzlichen Naturschutzvorschriften geplant sind.

Die Jagd, Bergsteigen und Landwirtschaft, beispielsweise, wären hier weiterhin erlaubt.

Vor den Anwesenden im Gemeindesaal erklärte Tuor noch einmal das Ziel des Parc Adula: Es soll ein Park werden, der Touristen anlockt, neue Arbeitsstellen schafft und die regionale Wirtschaft stärkt.

Ein Park für die Menschen also, und nicht nur für die Natur. «Wir brauchen nicht neue Schutzgebiete, sondern ein Instrument, damit auch die nächsten Generationen noch hier oben leben und arbeiten können.»

Der Mensch soll Teil des Parks werden

Der Nationalpark als Chance für Randregionen: Dieses Modell findet weltweit Anwendung. Die Zeiten, in denen die Menschen aus Schutzgebieten ausgeschlossen wurden, sind vielerorts vorbei.

Anders als in früheren Zeiten werden Naturschutzgebiete nicht mehr fernab menschlicher Siedlungen geschaffen. Sondern dort, wo Menschen leben, arbeiten und sich entwickeln möchten.

Namibias Gemeindeschutzgebiete als Vorbild

Die Schweiz ist ein Beispiel für diese Entwicklung, ein anderes ist Namibia. Das Land hat als erstes überhaupt den Naturschutz in der Verfassung verankert. Heute existieren im Land im Südwesten Afrikas über achtzig sogenannte Gemeindeschutzgebiete.

Die lokalen Gemeinden verwalten diese Schutzgebiete selbständig. Sie kümmern sich um den Schutz der Tiere, beschäftigen Parkwächter. Und verdienen an der steigenden Zahl von Touristen, die ihre Gebiete besuchen, indem die Tourismusanbieter einen Teil der Einnahmen an die Gemeinden weitergeben. Und sich dazu verpflichten, möglichst viel Personal aus dem Schutzgebiet zu beschäftigen.

Ein Modell mit Erfolg

Das namibische Modell funktioniert an vielen Orten im Land mit Erfolg. 2014 erwirtschafteten die Gemeindeschutzgebiete 5 Millionen Schweizer Franken. Das lohnt sich auch für die Natur: Inzwischen zählt man dort die zweitgrösste freilebende Population von Breitmaulnashörnern und wachsende Bestände an Löwen, Elefanten und Geparden. Inzwischen zählt das Land über 80 solcher Gemeindeschutzgebiete. Und die Zahl soll über die nächsten Jahre weiter steigen.

Naturschutz als Wirtschaftsmotor für benachteiligte Randregionen: Es ein Modell, das weltweit Erfolge erzielt. Potential existiert auch in den Gemeinden des Parc Adula. Ob sie den Versuch wagen wollen, zeigt sich in den nächsten Tagen, wenn die betroffenen Gemeinden über den Park abstimmen.

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