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Gesellschaft & Religion «Es ist keine gute Zeit, um in der Ukraine Romane zu schreiben»

Putin ist ihm ein Dorn im Auge – und seine Bücher sind es dem russischen Präsidenten. Der ukrainische Autor Andrej Kurkow kämpft, auch schreibend, gegen die russische Politik. Am Wochenende liest Kurkow in Zürich, wir sprachen mit dem Schriftsteller über die Kraft der Literatur in der Ukraine-Krise.

Sie sind bekannt dafür, dass Sie eine sehr Putin-kritische Haltung haben. Hat sich diese in der letzten Zeit noch verstärkt?

Andrej Kurkow: Ich bin natürlich kein Freund von Putin. Meine Bücher sind auch nicht Putins Freunde. Seit 2008 werden meine Bücher nicht mehr in Russland veröffentlicht. Im April wurde mein Roman «Die letzte Liebe des Präsidenten» sogar zum zweiten Mal verboten.

Sie hatten damals prophezeit, dass Putin wieder Präsident wird und das hat den Skandal ausgelöst.

Ja, «Die letzte Liebe des Präsidenten» wurde 2004 auf Russisch veröffentlicht. Darin wird die Besetzung des Krim und von Sewastopol schon vorweggenommen.

Was will Putin?

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Andrej Kurkow kennt man in der Schweiz seit seinem Romanerfolg «Picknick auf dem Eis» (1999). Nun ist er mit zwei neuen Titeln im deutschsprachigen Buchhandel: «Jimmy Hendrix live in Lemberg» und «Ukrainisches Tagebuch». Kurkow tritt am Zürich liest (23.–26.10) auf, unter anderem an einer Ukraine-Veranstaltung im Zürcher Neumarkttheater.

Vor zehn Jahren dachte Putin, er könne eine neue Sowjetunion bauen. Mit dem Projekt «Russki Mir» hat er zusammen mit der orthodoxen Kirche ein Kulturprojekt beziehungsweise geopolitisches Projekt geplant. Heute ist Russland für ihn ein Imperium wie es bis 1917 eines war. Damals gehörte ja nicht nur das Gebiet der ehemaligen sowjetischen Republiken, sondern auch Länder wie Polen, Finnland, Estland und Litauen zum Reich.

Putin wird nie wieder gute Beziehungen zum Westen – also zu der EU und den USA – haben wie früher. Putin kann nur noch die Unterstützung vom russischen Volk verlieren. Dieses unterstützt ihn nur, weil er die Rolle des Machos spielt. Das heisst: Er muss aggressiv sein. Der Europa-, Amerika- und Ukrainehass ist extrem geworden. Die schlimmsten Feinde Russlands sind die Amerikaner, die zweitschlimmsten die Ukrainer. Aber so oder so: Der Westen wird als schlechte Zivilisation gesehen. Russland will seinen eigenen Weg gehen, mit Moral, ohne Homosexualität, ohne Kapitalismus, aber natürlich mit Oligarchen, die die Regierung unterstützen.

Dieses Neu-Russland, wovon Putin spricht. Muss sich Europa da Sorgen machen?

Natürlich, weil «Neu-Russland» ist ein Passwort für die zukünftige Okkupation von anderen Regionen im Süden der Ukraine. Putin möchte auch eine gemeinsame Grenze mit Transnistrien haben. Die Region hat den Kreml schon offiziell angefragt, ob es Teil der russischen Föderation werden kann. Russland möchte nach Westen expandieren.

Sie sind Schriftsteller und nicht Politiker. Was kann die Literatur in dieser Situation bewirken?

Manchmal denke ich: nicht viel. Aber viele ukrainische Autoren haben früher keine politischen Texte geschrieben. Jetzt schreiben sie Kolumnen und sind politisch sehr aktiv. Ich glaube, dass viele Leser früher nur Unterhaltungsliteratur lesen wollten. Jetzt ist das anders. Hauptsache ist, dass die Schriftsteller verstehen, was passiert. Sie sollen nicht zu emotional sein. Denn Emotionen sind in dieser Situation keine guten Ratgeber. Die Wahrheit befindet sich zwischen der Emotion und der Realität. In der Ukraine ist die Zeit der Non-Fiktion gekommen. Es ist keine gute Zeit, um Romane zu schreiben oder zu lesen. Man will historische Bücher lesen, politische Bücher, geopolitische Texte.

Worin sehen Sie Ihre Aufgabe in den nächsten paar Monaten?

Ich schreibe weiter Essays und Artikel, Kolumnen – mehr für die internationale Presse als für die ukrainische, obwohl ich auch für diese schreibe. Ich nehme ausserdem regelmässig an politischen Konferenzen und Diskussionen teil. Meine Hauptaufgabe ist es, gegen die russische Propaganda zu kämpfen. Wenn man russische Zeitungen liest oder russisches Fernsehen schaut, wundert man sich, dass es in einer «nicht-stalinistischen» und «nicht-hitlerschen» Zeit eine solche Propaganda gibt. Es gibt so viele Lügen und so viele falsche Geschichten. Die russischen Medien sind das Hauptinstrument im Krieg. Ohne Medien, ohne Lügen würde es diesen Krieg nicht geben.

Können Sie eine Gegenhaltung einnehmen, um gegen diese Lüge anzugehen?

Ja, aber nicht alleine. Ich kann kämpfen, aber ich kann die Situation nicht ändern. Der Staatssender «Russia Today» hat schon begonnen, auf Deutsch Sendungen zu machen. Es gibt also noch mehr Propaganda. Ganz viele Leute – zum Beispiel in Deutschland – hassen Amerika. Dann sind sie plötzlich russophil und unterstützen Putin. Oder sie wiederholen, was Putin sagt: Etwa dass die ukrainische Krise von den Amerikaner organisiert ist.

Der russisch-deutsche Schriftsteller Wladimir Kaminer sagte einmal im Interview, dass das russische Volk immer auf der Seite der Macht sei, und dass es darum ganz schwierig sei, etwas zu ändern. Stimmt das?

Das ist wahr. Es gibt keine Tradition der Demokratie in Russland. Die Russen wollen einen Zaren, sie brauchen keine Präsidenten. Sie hatten einen wahren Präsidenten, Boris Jelzin. Aber sie haben ihn nicht richtig verstanden. Mit Putin ist es sehr einfach. Sie sind stolz, dass die Welt Angst vor Russland hat. Es ist ihnen egal, dass sie arm sind, dass sie nie etwas vom Gas oder Öl bekommen werden, aber sie sind stolz, stark zu sein und Amerika zerstören zu können.

Wie geht die Geschichte aus?

Entweder wird der Konflikt von aussen beendet, sonst kann man nichts machen. Das passt Putin. Er möchte ja ein zweites Transnistrien in der Urkaine haben und durch dieses okkupierte Territorium Druck auf die ukrainische Regierung ausüben, was Verhandlungen mit der EU betrifft. Ich glaube, dass die Krise noch drei Jahre oder noch länger dauert. Das wird die Zukunft noch schwieriger machen, als man sich das vorstellen könnte.

Glauben Sie, dass Sie jemals normale Fiktion schreiben werden?

Ich hoffe es. Ich habe einen Roman im November unterbrochen. Aber bis heute habe ich es nicht geschafft weiterzuschreiben.

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