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Gesellschaft & Religion Hinauf! Der heilige Berg der Iren

Jedes Jahr am 17. März gedenken die Iren ihrem Nationalheiligen St. Patrick. Sie huldigen ihm auf einem mystischen Berg, dem Croagh Patrick. Über 100'000 Pilger nehmen durchs Jahr hindurch den beschwerlichen Weg durch Geröll auf sich – in Turnschuhen, barfuss oder sogar auf Krücken.

Murrisk, im Westen Irlands: Es gibt einen Pub, einen Parkplatz, einen Campingplatz und eine Durchgangstrasse. Das kleine 200-Seelen Dörfchen ist umgeben von grüner Heide und dunkel schimmernden Seen. Dazwischen liegen torfbraune Flüsschen und das blaue Meer. Eine friedliche Landschaft. Hier, in der einst bettelarmen Grafschaft Mayo, riecht man das Salz des Atlantiks. Wer nach Murrisk kommt, der will Irlands heiligen Berg besteigen – sonst nichts.

Krücken, Wollsocken, durchweichte Turnschuhe

Der Berg Croagh Patrick von weitem, wie er eingebettet von grünen Weisen vor einem See liegt.
Legende: Nichts für Freizeitwanderer: der Croagh Patrick. Michael Marek

Schon von weitem ist seine Gestalt zu erkennen: eine Kegelpyramide, geometrisch so perfekt, als sei sie von himmlischer Hand geformt worden. Jedes Jahr stapfen, keuchen Pilger und Wanderer auf diesen graugrünen, oben fast schwarzen Berg. Manche sogar barfuss oder auf Knien, Teenager in durchweichten Turnschuhen, Frauen mit ihren Babys, alte Menschen auf Krücken. Im Besucherzentrum werden ihnen Pilgerstöcke, Medaillons, Rosenkränze, dicke Wollsocken und T-Shirts verkauft.

765 Meter ist der Croagh Patrick hoch, aber steil, mit losem Geröll an den Flanken. Vor 1500 Jahren war die Gegend noch ein Zentrum der heidnischen, der keltischen Welt. Bis der Heilige Saint Patrick, Irlands Schutzpatron, 441 nach Christus hierher kam und zu missionieren begann.

Die Katholiken glauben, dass Saint Patrick 40 Tage lang auf dem Berg gebetet und gefastet habe. Der irische Schutzpatron brachte das Christentum auf die grüne Insel und bekehrte viele Heiden auch hier in der Region Mayo. Für die Gläubigen gibt es auf dem Weg zum Gipfel einen Steinhaufen, um den reuige Sünder sieben Mal herumgehen müssen, während sie sieben Vaterunser, sieben «Gegrüsset seist Du, Maria» und ein Glaubensbekenntnis sprechen.

St. Patrick's Day

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Am 17. März feiert Irland den St. Patrick's Day in Erinnerung an Bischof Patrick (gest. 461 oder 493 n.Chr.), den ersten christlichen Missionar Irlands. In vielen Städten finden Paraden statt, und die Feierlichkeiten haben Volksfest-Charakter. Der irische Nationalfeiertag wird zunehmend auch in anderen Ländern und von Nicht-Iren gefeiert.

Nippes am Wegrand

Über moosige Pfade geht der Aufstieg, gespenstische Wolkenfetzen streichen über die höher liegenden Felsenflanken. So könnte eine Mondlandschaft aussehen. Früher standen entlang des Weges noch Kioske, in denen Getränke, Suppen und religiöser Nippes verkauft wurden. Familien aus Murrisk betrieben die Stände, um die Pilger körperlich-seelisch zu stärken – und um die eigenen Haushaltskasse aufzubessern.

Sogar Nachtwanderungen gab es. Aber das ist längst vorbei – aus Sicherheitsgründen, wie es heisst. Um die nichtkatholischen Aktivitäten rings um die Wallfahrt einzudämmen, wurde die Pilgerwanderung kurzerhand auf den Tag verschoben.

Lieber im Pub als auf dem Berg

Jerry Greensmith ist Bergführer hier am Croagh Patrick. Er kennt viele Geschichten über den heiligen Berg. Im 19. Jahrhundert habe ein Mann auf dem Berg gelebt, den sie «Bob of the reek» nannten. Bob kam nur herunter, wenn er sich als vermeintlicher Fremdenführer betätigen wollte.

In Campbells Bar sassen Leute, die körperlich nicht mehr in der Lage waren, den Berg zu besteigen oder sowieso lieber im Pub herumlungerten, um sich nicht hinaufzuquälen. Also übernahm Bob – natürlich gegen Bezahlung – die Pilgerschaft für sie. Deshalb wurde er auf dem Gipfel beerdigt. Ein Grab mit der Aufschrift «Bobby, the reek» beweist bis heute sein Wirken in den Fussstapfen Saint Patricks.

Schnurgerader Büsserweg hinauf zur Kapelle

Zwei Nonnen in hellgrauen Gewändern und ausgerüstet mit Holzstock und Turnschuhen gehen Hand-in-Hand auf einem schmalen Pfad.
Legende: Trotz steilem Pfad: Manche pilgern in Turnschuhen. Reuters

Wer nach oben hinauf will, muss früh aufstehen. Vier Stunden braucht man bis zum Gipfel über das Mondgeröll. Die letzten 250 Höhenmeter sind die steilsten des ganzen Pfades. Ein holpriger, rutschiger Untergrund voller Geröll. Steinbrocken kommen jedem polternd entgegen. Keine Serpentine, die Erleichterung verschafft. Es geht einfach nur steil und fast schnurgerade bergauf. Schliesslich ist der Weg zum Croagh Patrick nicht als fröhliches Freizeitwandern gedacht: Es ist ein Pilgerpfad, ein Büsserweg hinauf zur Kapelle des Heiligen Saint Patrick.

Unterwegs entschädigt der Ausblick für die Mühsaal des Aufstiegs. Dann geht der Blick über die Clew Bay ins Landesinnere hinunter in den Lug Na Deamhan, die Höhle der Dämonen.

Seelenwanderung in den Himmel

Wenn man den Berg dreimal hintereinander bestiegen habe, dann würde eine Seele in den Himmel kommen. Man müsse nur an sie denken. Das sei eine alte irische Tradition hier am Croagh Patrick, sagt Jerry Greensmith. Der Bergführer hat schon viele Seelen in den Himmel gebracht. Über 300 Mal ist er auf dem Gipfel gewesen. Und er habe so manchen Pilger getroffen, der schlecht ausgerüstet war. Dabei kann das Wetter von dem einen auf den anderen Moment wechseln. Immer wieder überschätzen sich Wanderer: 765 Meter – das scheint doch keine Herausforderung zu sein. Doch der Berg hat es in sich.

Audio
Croagh Patrick: Der heilige Berg der Iren
aus Kultur kompakt vom 15.03.2013.
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 40 Sekunden.

Oben, auf dem Gipfel angekommen, pfeift einem der Wind um die Ohren. Dort steht eine kleine weissgestrichene Kapelle. 1905 wurde sie geweiht. Seitdem werden dort Gottesdienste für die Pilger abgehalten. Im Innern befindet sich ein Stein, auf dem Saint Patrick so lange im Gebet verharrt haben soll, bis seine Knie einen Abdruck hinterliessen.

Der 360-Grad-Blick ist phantastisch: Unten liegen Torfmoore, Weiden, Hecken und Steinwälle, die das Land geometrisch gliedern. Grün soweit das Auge reicht, dazwischen weisse Tupfer, die sich durch das Fernglas betrachtet als Schafherden herausstellen. Die wenigen Waldflecken bieten einen schönen Kontrast zur welligen Gegend: Irische Bilderbuchlandschaft.

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