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Gesellschaft & Religion «Im Kongo finden Sie keinen einzigen Psychiater»

Millionen von psychisch kranken Menschen weltweit bekommen keine Hilfe. Fachleute wissen das – und trotzdem ändert sich daran wenig. Besonders in Entwicklungsländern gibt es kaum eine Behandlung für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Dabei ist gerade dort das psychische Leid unvorstellbar gross.

  • In vielen Ländern Afrikas gibt es kaum eine psychiatrische Versorgung. Obwohl sie dringend benötigt wird.
  • Psychologen vor Ort versuchen darum, die Hilfe mit ehrenamtlichen Laien zu verbessern.
  • Das Problem betrifft auch uns: Viele der Flüchtlinge, die nach Europa kommen, haben Angststörungen und Depressionen – die hier behandelt werden müssen.

Die psychiatrische Versorgungskrise ist in den meisten Ländern Afrikas Alltag. Der klinische Psychologe Thomas Elbert von der Universität Konstanz kennt diesen Alltag gut. Er arbeitet seit Jahren in Afrika und versucht, die psychiatrische Versorgung zu verbessern – zum Beispiel im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Die Situation in der einzigen psychiatrischen Klinik der Millionenstadt Goma bezeichnet er als desolat: «Da finden sie keinen Psychiater oder Psychotherapeuten. Wenn Sie Glück haben, finden Sie einen Arzt oder eine Krankenschwester.»

In ganz Somalia gibt es einen einzigen Psychiater

Ausserhalb der äusserst raren psychiatrischen Kliniken – also in kleineren Städten und auf dem Land – gebe es gar keine Fachleute. Auch keine Pflegerinnen, die Menschen mit Depressionen, Schizophrenien oder anderen psychischen Leiden helfen könnten. In ganz Somalia, zum Beispiel, auch in ganz Liberia gibt es einen einzigen Psychiater. Die Folgen für Menschen mit psychischen Erkrankungen sind laut Elbert dramatisch: «Personen, die sehr auffällig sind oder wahnhafte Gedanken haben, werden zum Teil in Ketten gelegt oder eingesperrt, da es für diese Leute keine Versorgung gibt».

Für Menschen, die in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen lebten, könne selbst eine Depression existentiell werden. «Ich habe gesehen, dass Bauern mit Depressionen nur noch in der Hütte sitzen. Sie können nicht schlafen, sind in Tränen aufgelöst. Und sie gehen nicht mehr aufs Feld», erzählt Elbert. Und das hat drastische Folgen: Wenn die Ernte ausbleibt, droht der Tod. Es überrascht kaum, dass die Angehörigen eines Kranken Hilfe suchen, wo sie nur können. Oft bei traditionellen Heilern – leider meist ohne Wirkung.

Psychologe Thomas Elbert.
Legende: Psychologe Thomas Elbert arbeitet seit Jahren in Afrika. Wikipedia

Bis zu 40 Prozent der Bevölkerung traumatisiert

In armen Ländern werden laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation nur 7 Prozent aller psychisch Kranken medizinisch versorgt. Thomas Elbert befürchtet, dass diese Behandlungsquote noch deutlich sinken könnte, weil in manchen Weltgegenden psychische Leiden enorm zunehmen. In Kriegs- und Krisenregionen, wo die Menschen teilweise seit Generationen fortlaufender Gewalt ausgesetzt sind, seien bis zu 40 Prozent der Bevölkerung traumatisiert.

Gleich mehrere Teufelskreise treiben die Zahl von Menschen mit Angststörungen oder Depressionen in die Höhe. Zum Beispiel die starke Verbreitung von Aids in Afrika: Die Krankheit traumatisiert die Betroffenen, sie macht unzählige Kinder zu Waisen und gibt ihnen eine schwere psychische Bürde mit auf den Weg. Auch in Kulturen der Gewalt, wo Kinder von Eltern und Lehrern aus Gewohnheit geschlagen werden, haben die Menschen einen schweren Start ins Leben. Sodass sie spätere belastende Lebensereignisse nur schlecht verarbeiten können.

Hilfe von Laien aus dem Dorf

Ungezählte Menschen in Ketten, ein Drittel oder mehr der Bevölkerung erkrankt an Psyche und Geist – diese Situation ist untragbar. Aber was tun ohne Fachpersonal? Thomas Elbert und andere Psychologen haben darum nach Alternativen gesucht: Sie bauen auf die Hilfe von ehrenamtlichen Laien in den Dörfern – zum Beispiel von der Krankenschwester, die im Gesundheitsposten arbeitet oder dem Dorflehrer. Diese werden so geschult, dass sie Menschen mit psychischen Problemen erkennen können.

Sie vermitteln diese dann an eine Person, die sie behandeln kann oder wenden gleich selbst die Behandlungsmethode an, die Thomas Elbert und sein Team für Depressionen oder Angstzustände entwickelt haben: Die Laien-Therapeuten programmieren im Kopf der Leidenden quasi die Lebensgeschichte um. Sie helfen den Patientinnen und Patienten, ihre Traumata in ihre Biografie zu integrieren. Der Schrecken wird zeitlich dort verankert, wo er stattgefunden hat – in der Vergangenheit – und muss so von den Betroffenen nicht mehr ständig wiedererlebt werden. Die Laien-Therapeuten werden von einem ausgebildeten Psychotherapeuten betreut, der ihnen die schwierigen Fälle abnimmt. So entsteht eine Behandlungspyramide, die bis zu 80 Prozent der Patienten erfolgreich behandelt – wie Studien gezeigt haben.

Das Problem betrifft auch Europa

Seit kurzem finanziert unter anderem die Weltbank den Aufbau solcher Programme im Kongo und in anderen Staaten. Höchste Zeit, findet Thomas Elbert. Andernfalls blieben viele arme Länder in der verhängnisvollen Spirale von Gewalt und psychischem Leiden gefangen – und dies würde künftig noch viel mehr Flüchtlinge nach Europa treiben als heute schon. Flüchtlinge, von denen viele mit Angststörungen und Depressionen bei uns ankommen. Bereits jetzt gebe es etwa in Deutschland zu wenig Psychotherapeuten, um sie alle zu behandeln. Darum hofft Elbert, dass auch hierzulande unter den Flüchtlingen Laien für diese Aufgabe ausgebildet werden.

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