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Gesellschaft & Religion In der Krise helfen sich die Griechen selbst

Versagt der Staat in der Krise, muss man sich selber helfen: In Griechenland sind Hunderte von Bürgerinitiativen entstanden, die ohne Geld Waren und Dienstleistungen austauschen. Ein Gespräch mit der griechischen Politologin Zoé Lefkofridi über das neu erwachte Demokratie-Bewusstsein.

Zoe Lefkofridi, mit der Krise in Griechenland wächst die Bereitschaft von Bürgerinnen und Bürgern, sich für das Wohl des Landes zu engagieren. Wie zeigt sich das?

Es zeigt sich in vielen Lebensbereichen: Es gibt medizinische Kliniken, in denen Ärzte Patienten gratis behandeln, die keine Krankenversicherung mehr haben. Und da ist die Bewegung «Solidarität für alle». Sie sammelt Lebensmittel, Kleider und Schulmaterial und gibt diese Dinge an Menschen ab, die kein Geld haben, um Güter des täglichen Bedarfs zu kaufen.

Zur Person

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Legende: flickr/Rosa Luxemburg Stiftung

Zoe Lefkofridi ist Assistenzprofessorin für komparative Politikwissenschaft an der Universität Salzburg. Sie forscht und lehrt vor allem zu den Themen Demokratie und europäische Integration mit Fokus auf politische Ungleichheit (Geschlecht, Einkommen) und Extremismus.

In den letzten Jahren ist auch ein kulturelles Engagement entstanden für Menschen, die sich Kultur nicht mehr leisten können. Welche dieser Initiativen betrachten Sie als die Wichtigsten, um die Krise zu bewältigen?

Sie sind alle wichtig. Denn: Die Menschen brauchen nicht nur Nahrung und Kleider, sie brauchen auch Kunst. Sie haben viele Bedürfnisse, erst recht in der Not. Wichtig ist auch, dass bei diesem Engagement neue soziale Strukturen entstehen, die nicht mehr hierarchisch verlaufen, wie dies in den politischen Parteien der Fall ist. Dadurch entsteht in der Gesellschaft derzeit auch ein neues, starkes demokratisches Bewusstsein und eine neue Vertrauensbasis zwischen den Bürgerinnen.

Woran machen Sie das fest?

Seit die Menschen 2011 erstmals auf dem Syntagmaplatz in Athen zusammengekommen sind, ist ihre Bereitschaft gewachsen, auch Leuten zuzuhören, die vorher nie gehört worden waren, wie etwa die Flüchtlinge. Es gibt seither einen Austausch von Dienstleistungen, der ohne Geld funktioniert, aber auch einen ideellen Austausch. Die gegenwärtige Not und die Gründe der Krise sind ein Thema, aber auch die eigene Geschichte in diesem Land: Viele Menschen haben ja die Militärdiktatur noch erlebt. Das heisst, es entsteht ein neues gesellschaftliches Bewusstsein.

Wie schätzen Sie als Politologin die Stärke dieser Bürgerinitiativen und Selbsthilfeorganisationen ein?

Es geht um eine ideologische Gegenbewegung. Es handelt sich um eine Kritik an der politischen und wirtschaftlichen Elite. Mit der neu entstehenden Solidarität rücken die engagierten Bürgerinnen und Bürger die Bedürfnisse der gewöhnlichen Menschen ins Zentrum. Die Krise hat diese Bewegungen verstärkt. Ob sie dauerhaft sein werden, kann man jetzt noch nicht sagen.

Wie verhält sich die neue Linksregierung gegenüber diesen Bürgerbewegungen?

Bevor Syriza an die Macht kam, hatte sie als Oppositionspartei diese Initiativen unterstützt, etwa die Bewegung «Solidarität für alle». Denn diese hatte der rechtsradikalen Partei «Goldene Morgenröte» etwas entgegengesetzt, die nur notleidenden Griechen Hilfe anbot. Wer aber keinen griechischen Pass vorzeigen konnte, blieb bei der Suppenküche aussen vor. Syriza war um diese Initiativen, die Solidarität für alle einforderten, sehr froh, und das ist auch immer noch der Fall. Die Bürgerbewegungen haben jetzt unter der neuen Linksregierung denn auch mehr Raum, um sich zu entfalten.

Wie schätzen Sie die Gefahr ein, dass Syriza diese Bürgerinitiativen vereinnahmt und diese ein Teil einer neuen Klientelwirtschaft werden?

Das ist ein Problem. Deswegen wollten am Anfang alle diese Bewegungen mit Parteipolitik überhaupt nichts zu tun haben. Parteienvertreter waren auf dem Syntagma-Platz nicht erwünscht. Aber eine strikte Trennung zu machen, ist fast unmöglich, weil viele Menschen halt auch in Parteien organisiert sind. Es ist zu hoffen, dass man aus dieser Geschichte etwas gelernt hat. Dass es in Griechenland darum geht, dem ganzen Land und seiner Bevölkerung zu dienen und nicht einer Partei mit ihren partikulären Interessen.

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