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Gesellschaft & Religion Johann Künzle: Der Pfarrer, der bis heute ein Kräuterpapst ist

Pfarrer Johann Künzle rettete mit seinen pflanzlichen Arzneien Menschen vor dem Tod, erfand die erste Pillenmaschine der Schweiz – und schrieb einen Kräuterratgeber, der bis heute zwei Millionen Mal verkauft wurde. Eine Ausstellung widmet sich dem St. Galler Kräuterpfarrer.

Ob Brennnessel, Löwenzahn oder Johanniskraut: Bereits in frühester Kindheit beobachtete der 1857 in Hinterespen bei St. Gallen geborene Johann Künzle die vielfältige Pflanzenwelt auf zahlreichen Spaziergängen und eignete sich – damals weitgehend unbewusst – das nötige Rüstzeug zum Naturheilarzt an.

Ausstellungshinweis

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Die Ausstellung «Chrut und Uchrut – Pfarrer Johann Künzle» ist noch bis zum 25. Oktober 2015 im Museum Weesen zu sehen.

Ein Pfarrer hilft mit Kräutern in der Not

Nach seinem Theologiestudium in Belgien nahm der Sohn eines Gärtners unter anderem eine dreijährige Tätigkeit als Pfarrer in Amden auf, wo er sich wieder der Kräuterheilkunde widmete. Seine ganzheitliche Sichtweise war zu jener Zeit sehr gefragt, da der nächste Arzt oft mehrere Fussstunden entfernt wohnte. Und so versorgte Johann Künzle auch 1918, als die Spanische Grippe ausbrach, die Menschen mit den Naturprodukten aus seiner «Herrgottsapotheke» und trug dazu bei, dass keine einzige Person in der Gemeinde sterben musste.

Audio
Johann Künzle: Lokalheiliger und Marketingfachmann
aus Blickpunkt Religion vom 22.03.2015.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 45 Sekunden.

«Allerdings legten ihm vor allem Neider und Kritiker aus kirchlichen und schulmedizinischen Kreisen nahe, seine alternativen Arzneimittel definitiv in den Schrank zu legen», sagt Anna-Katharina Keller Manhart. Zusammen mit Hanspeter Paoli kuratiert sie eine überschaubare Ausstellung über Pfarrer Künzle im Museum Weesen. Die Ausstellung zeigt Film- und Tondokumente sowie persönliche Gegenstände – so sind etwa Künzles Hut oder sein Heimaltar zu sehen.

Der Kräuterexperte schöpfte stets Kraft aus dem Glauben – auch in schwierigen Zeiten, als er bei den Obrigkeiten in Chur angezeigt wurde. Da er als Naturheilarzt keinen Ausweis besass, musste er mit 65 Jahren beim Sanitätsdepartement Graubünden ein Examen ablegen, das er jedoch mit Bravour meisterte.

Buchhinweis

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Johann Künzle: «Chrut und Uchrut». Erweitert von Peter Oppliger. AT Verlag, 2008.

Gefragte Naturprodukte

Dass das Interesse am Kräuterpfarrer nach wie vor vorhanden ist, zeigt nicht nur die aktuelle Ausstellung, sondern auch sein Kräuterratgeber «Chrut und Uchrut», der über zwei Millionen Mal verkauft und in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Noch immer steht er in zahlreichen Schweizer Haushalten im Bücherregal. Und auch Künzles Teesorten werden mittlerweile in Lebensmittelgeschäften angeboten.

«Johann Künzle war nicht nur ein gläubiger Katholik und Pfarrer, sondern auch ein versierter Marketingfachmann», betont Ausstellungsmacher Paoli. Der selbstbewusste Naturexperte organisierte seinerzeit einen Kräutermarkt und brachte seine Arzneien geschickt unter die Leute.

Die erste Pillenmaschine der Schweiz

Sein primäres Ziel bestand jedoch darin, den Menschen an Leib und Seele helfen zu können. Dabei setzte er nebst Lapidartabletten vor allem seine Kräuterteesorten ein. Nicht zuletzt entwickelte der Gottesmann die erste Pillenmaschine der Schweiz, die sich als lukratives Geschäft erwies.

Obwohl der bärtige Mann viel Geld verdiente, zog er das bescheidene Leben vor und investierte seine Einnahmen sogleich wieder, indem er Kirchen und Altare bauen oder neugestalten liess, unter anderem auch die St.-Anna-Kapelle in Amden.

In dieser Gegend finden sich auch heute noch seltene Pflanzenarten, und so mancher wird sich vielleicht an Johann Künzles Zitat erinnern: «Wenn die Menschen das ‹Unkraut› nicht nur ausreißen, sondern einfach aufessen würden, wären sie es nicht nur los, sondern würden auch noch gesund.»

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