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Gesellschaft & Religion Junggesellenabschiede sind der Heiratsmarkt von heute

Frauen und Männer feiern verkleidet und mit viel Alkohol das Ende ihres Junggesellen-Daseins. Anders als früher sind die Partys heute aufwändig organisiert: mit Spielen, Bauchläden und Darbietungen. Dabei gehe etwas verloren, sagt Soziologe Sacha Szabo: das Abenteuer.

Das Phänomen der Junggesellenabschiede ist immer weiter verbreitet. Was ist der Grund dafür?

Sacha Szabo: Junggesellenabschiede gab es schon immer. Aber die Art und Weise, wie der Abschied gefeiert wird, hat sich verändert. Früher war das exzessiver, heute ist die Feier eher verspielt und hat Eventcharakter.

Worauf führen Sie diesen Wandel zurück?

Zur Person

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Sacha Szabo, geboren 1969 im deutschen Freiburg, studierte Soziologie, Germanistik und Philosophie. Heute arbeitet er als Publizist und Kulturmanager am Institut für Theoriekultur Freiburg. Er beschäftigt sich mit Alltagsphänomenen und Trends.

Ein Einfluss kam aus dem angelsächsischen Raum, durch die Stag- und Hen-Partys. Übersetzt heisst das: Der Hirsch, der sich nochmals die Hörner abstösst – oder eben die Hühner. Dieses Ereignis wurde immer stärker professionalisiert. Heutzutage sieht man die Leute oft in Motto-Shirts herumlaufen oder sie inszenieren Spielchen. Das gab es früher nicht.

Es gibt ein Spiel, bei dem die zukünftige Braut oder der Bräutigam Lose oder Scherzartikel aus einem Bauchladen verkaufen muss. Was hat es damit auf sich?

Dem Bräutigam oder der Braut werden wertlose, witzige, zum Teil auch erotisierende Geschenke wie Kondome in den Bauchladen gelegt. Die muss er verkaufen, damit die Gruppe einen draufmachen kann. Spannender ist das Spiel, bei dem stückchenweise ein T-Shirt verkauft wird – das kann man symbolisch deuten: Der Bräutigam oder die Braut übt, für das Überleben oder die Versorgung seiner oder ihrer Sippe das letzte Hemd zu geben.

Am Junggesellenabschied darf der oder die bald Heiratende nochmal richtig einen drauf machen. Das gilt jedoch nicht für die anderen. Welche Funktion haben die Freunde?

Einerseits führen sie dem Junggesellen all die Dinge, die er nach der Heirat nicht mehr tun darf, nochmals vor Augen. Oft sorgt der Trauzeuge dafür, dass der Abend nicht aus dem Ruder läuft. Der Bräutigam soll Vertrauen in seine Männerclique bekommen, so dass diese Verbundenheit bis in die Ehe reicht.

Andererseits ist der Junggesellenabschied vor allem für die Begleiter gemacht. Noch vor wenigen Generationen waren Hochzeit und Polterabend eine Möglichkeit, um eine Ehe anzubahnen. Heutzutage übernimmt diese Funktion des Heiratsmarkts der Junggesellenabschied. Unter dem Schutzschirm des Junggesellenabschieds können die Begleiter hemmungslos mit dem anderen Geschlecht flirten.

Inzwischen stellen Junggesellenpartys einen Wirtschaftszweig dar. Neben Hochzeitsplanern gibt es auch Anbieter für Junggesellenabschiede. Was bedeutet das für dieses Ritual?

Das Ritual des Junggesellenabschieds hat eine sehr lange Tradition und bezeichnet etwas, was auch im kirchlichen Sakrament deutlich wird: dass man in einen anderen Lebensabschnitt eintritt.

Unter dem Eindruck der Industrialisierung und des Kapitalismus ist die Junggesellenparty zum Produkt geworden, das konfektioniert ist und eine Erlebnisgarantie verspricht. Dabei geht etwas sehr Wichtiges verloren: das Ungeplante, dass man nochmals ein Abenteuer erlebt.

Sendung: SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 09.07.2015, 08:20 Uhr.

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