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Gesellschaft & Religion Karikaturisten zeichnen heute vermehrt zwischen den Zeilen

Die Mohammed-Karikaturen, die vor zehn Jahren in der dänischen Zeitung «Jyllands Posten» erschienen, erschütterten das Verhältnis zwischen dem Westen und der muslimischer Welt. Für die Karikaturisten in Dänemark, aber auch in der Schweiz, hat sich seither etwas verändert: Sie zensieren sich selbst.

Der Schweizer Cartoonist und Karikaturist Ruedi Widmer hat eigentlich nichts mit den Mohammed-Karikaturen zu tun – mit jenen Zeichnungen, die den muslimischen Propheten Mohammed zeigen, der statt Turban eine Bombe mit brennender Lunte auf dem Kopf trägt. Dennoch verfolgen ihn die Karikaturen, denn ständig wird er danach gefragt. «Die Existenz dieser Zeichnungen ist ärgerlich für mich, weil unser Berufsstand darauf reduziert wurde. Die Mohammed-Karikaturen sind keine Höchstleistung und nicht besonders kreativ», sagt Widmer.

Botschaften brannten, dänische Waren wurden boykottiert

Als die Zeichnungen des Karikaturisten Kurt Westergaard am 30. September 2005 in der dänischen «Jyllands Posten» veröffentlicht wurden, kam es in der muslimischen Welt mit Verzögerung zu einer massiven Protestwelle. Botschaften brannten, dänische Waren wurden boykottiert und insgesamt 150 Menschen starben. Auch der Anschlag auf die Redaktion von «Charlie Hebdo» hat indirekt mit den Mohammed-Karikaturen zu tun.

Heute gleicht das Redaktionsgebäude von «Jyllands Posten» in Aarhus einer Festung. Und die dänischen Zeichner, allen voran Kurt Westergaard, müssen ständig von Leibwächtern bewacht werden.

Selbstzensur im Kopf

Diese Gewalt sei nicht spurlos an den Zeichnern vorbeigegangen, sagt Michael Streun. Der Thuner Künstler veröffentlicht einmal im Monat eine Karikatur in der Schweizer Satirezeitschrift Nebelspalter. Er sagt: «Durch das Islam-Thema ist bei manchen Künstlern und Redaktionen eine Selbstzensur spürbar.» Man sei in den Aussagen der Zeichnungen subtiler geworden, man arbeitete vermehrt zwischen den Zeilen.

Ruedi Widmer zeichnet weiterhin, oft zu tagesaktuellen – auch heiklen – Themen, etwa Terroristen oder Burkaträgerinnen. In Gesprächen komme regelmässig die gleiche Frage: Was ist mit Mohammed, würden Sie ihn zeichnen? «Mittlerweile misst man uns Karikaturisten daran, ob wir eine Mohammed-Karikatur machen würden oder nicht, das stört mich», sagt Widmer und fügt an: «Ich bin kein Soldat für die Meinungsfreiheit. Mir geht es vielmehr um den Lacher.»

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 30.9.2015, 6:50 Uhr

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