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Gesellschaft & Religion Kirchenasyl: Schutz für Asylsuchende oder Rechtsbruch?

Kirchgemeinden nehmen Asylsuchende in Notsituationen im Kirchenasyl auf. Damit soll eine Zwangsausschaffung verhindert werden. Das Kirchenasyl ist in der Schweiz umstritten – nicht nur in der Politik, auch in der Kirche selbst.

  • Kirchenasyl geht zurück auf eine Tradition mit biblischen Wurzeln.
  • In der Schweiz haben Aktivisten und Flüchtlinge schon mehrfach Kirchen besetzt.
  • Kirchen können Abschiebungen nicht immer verhindern.
  • Innerhalb der Kirche ist das Kirchenasyl umstritten.

Die Familie mit vier Kindern aus Tschetschenien lebte seit viereinhalb Jahren in Kilchberg ZH. Sie war bestens integriert. Das jüngste Kind war in der Schweiz zur Welt gekommen.

Einziger Haken: Das Asylgesuch der Familie war abgelehnt worden, sie hätte die Schweiz längst verlassen müssen.

Heimweh nach der Schweiz

Ein Unterstützungskomitee mit knapp 3000 Personen und die reformierte Pfarrerin Sibylle Forrer wollten das verhindern: Sie gewährten der Familie im Mai 2016 im Pfarrhaus Kirchenasyl. Einen Monat lang konnte die Familie noch im Pfarrhaus unterkommen, dann musste sie trotzdem ausreisen.

«Leider konnte die Familie nicht hier bleiben. Aber wir konnten die Zwangsausschaffung verhindern. Die Familie konnte ‹freiwillig› und in geordneten Verhältnissen ausreisen», erklärt Sibylle Forrer.

Menschengruppe mit Plakaten steht vor Kirche.
Legende: 2015 besetzte eine Menschenrechtsgruppe mit abgewiesenen Asylsuchenden eine Kirche in Lausanne. Keystone

Die Pfarrerin von Kilchberg hat via WhatsApp nach wie vor Kontakt mit der Familie. Für die Kinder sei es besonders schwer, sich an das Leben in Tschetschenien zu gewöhnen. Sie hätten Heimweh nach der Schweiz.

Lausanner Polizei respektiert Kirchenasyl

Kilchberg ist kein Einzelfall: Im Frühjahr 2016 besetzten Aktivisten mit abgewiesenen Asylsuchenden in Basel die Matthäuskirche.

Was für die Aktivisten Kirchenasyl war, bezeichneten die kantonalen Kirchenbehörden als Hausfriedensbruch. Die Polizei räumte die Kirche und verhaftete die Asylsuchenden.

Anders in Lausanne: Im März 2015 besetzte eine Menschenrechtsgruppe mit abgewiesenen Asylsuchenden eine reformierte Kirche und zog später in eine katholische Pfarrei um.

Die Pfarrer gewährten ihnen Kirchenasyl gegen den Willen ihrer Kirchenleitungen. In Lausanne respektiert die Polizei dennoch den symbolischen Schutzraum der Kirche. Einige der Asylsuchenden wurden inzwischen als Flüchtlinge anerkannt.

Kirchen sind kein rechtsfreier Raum

Wenn Flüchtlinge heute Zuflucht nehmen in einer Kirche, geht das zurück auf eine Tradition mit biblischen Wurzeln. Heiligtümer wie Tempel oder später Klöster und Kirchen boten seit jeher Menschen Schutz vor Verfolgung.

Sendung online

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Eine Diskussion mit dem evangelisch-reformierten Theologen Pierre Bühler und dem evangelisch-reformierten Peter Ruch: Die «Sternstunde Religion» «Streit um Kirchenasyl – die Debatte» vom Sonntag, 28. August können Sie online bereits jetzt sehen.

Dem Kirchenasyl fehlt heute aber eine rechtliche Grundlage. Kirchen sind kein rechtsfreier Raum. Asylsuchende dürfen im Kirchenasyl nicht versteckt werden. Dies betont der Schweizerische Evangelische Kirchenbund SEK in einem Grundsatzpapier, das Mitte August 2016 veröffentlich wurde.

Rechtsstaat ist nicht immer gerecht

In Kirchenkreisen ist das Kirchenasyl auch umstritten. «Es braucht kein Kirchenasyl. Der Rechtsstaat macht seine Sache gut», sagt der reformierte Pfarrer Peter Ruch.

Zudem seien die Flüchtlingshilfe und kirchliche Hilfswerke bei Asylentscheidungen teilweise involviert und könnten zugunsten der Asylsuchenden intervenieren.

Der Theologe Pierre Bühler widerspricht: «Der Rechtsstaat entscheidet nicht immer gerecht. Menschen geraten in eine Notsituation». Da brauche es ein Korrektiv und zivilen Ungehorsam.

Der emeritierte Theologieprofessor ruft in einem Manifest Christen dazu auf, Asylsuchende in Notsituationen im Kirchenasyl aufzunehmen.

In Deutschland verbreitet

Während hier in der Schweiz über das Kirchenasyl debattiert wird, findet es in Deutschland verbreitet Anwendung: Derzeit gewähren die Kirchen dort etwa 500 Personen Kirchenasyl.

In 80 Prozent der Fälle habe eine Abschiebung verhindert werden können. In einzelnen Fällen seien Fehler im Asylverfahren aufgedeckt worden. Ein Erfolg für die «Ökumenische Arbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche».

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