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Gesellschaft & Religion «Kolonialherrisch und arrogant» – Klassik im Krisenherd Kaschmir

«Gefühl für Kaschmir» – so das Motto eines klassischen Konzertes am Wochenende in der Unruhe-Region Kaschmir in Indien. Das «Friedenskonzert» des Bayerischen Staatsorchesters schürte Konflikte und löste heftige Proteste von religiösen Führern und Separatisten aus.

Die Kulisse war paradiesisch: die Jahrhunderte alten Shalimar-Gärten von Srinagar im indischen Teil Kaschmirs. Frisch renoviert, hunderte Meter lange Wasseranlagen mit Fontänen, dahinter eine imposante Bergkulisse. Hier empfingen Dirigent Zubin Mehta, das 80-köpfige Bayerische Staatsorchester und 15 einheimische Musiker ein handverlesenes Publikum zu einem Klassik-Konzert.

Das Stück «Haftrang» (Die sieben Klangfarben Kaschmirs), eröffnete den Abend. Das ist das Werk des jungen kaschmirischen Komponisten Abhay Rustum Sopori, das erstmals aufgeführt wurde. Danach spielte das Orchester, begeistert beklatscht von über 2000 Gästen, Beethoven, Haydn und Tschaikowski. Das Motto des Abends: «Ehsaas-e-Kashmir» (Gefühl für Kaschmir). Ein ungewöhnliches Ereignis mitten im Unruheherd – aber kein unproblematisches.

Gefühle versus Wirklichkeit

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Der Journalist Stefan Mentschel zum Konzert in Kaschmir
aus Kultur kompakt vom 09.09.2013.
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 54 Sekunden.

Gleichzeitig, unweit des feudalen Parks: eine parallele Protestveranstaltung «Haqeeqat-e-Kaschmir» (Kaschmirs Wirklichkeit). Einheimische Dichter, Musiker und Künstler aus der Region veranstalteten ein Kontrastprogramm und übten damit Kritik. Kritik daran, dass für das Münchner Orchester ein ganzer Park abgeriegelt wurde, Kontrollposten und Sicherheitskontrollen machten Srinagar vorübergehend zur Festung. Das öffentliche Leben war arg eingeschränkt.

Die deutsche Botschaft hat als Organisator die Gäste eingeladen – normale Bürger bemühten sich vergeblich um Karten. Separatisten und religiöse Gruppen forderten in den Wochen zuvor die Absage des Friedenskonzerts. Kultur und schöne Künste könnten nur in einem friedlichen Umfeld blühen, so die Botschaft.

Die Macht der Musik

Kaschmir-Konflikt

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Seit der Teilung des indischen Subkontinents in die Staaten Indien und Pakistan 1947 ist die Zugehörigkeit der Region Kaschmir umstritten. Drei Kriege führten die Länder bereits deswegen. Gleichzeitig gibt es im indischen Teil eine separatistische Bewegung, die für ein unabhängiges Kaschmir kämpft. Der Konflikt forderte bisher über 45‘000 Opfer.

Was für ein Gegensatz dazu die Worte des Dirigenten Zubin Mehta, der aus Indien stammt, und seine Ausbildung zum Dirigenten in Wien absolvierte. Er wolle zur Deeskalation beitragen, sagte er: «In meiner Erfahrung, kann man die Macht der Musik nie genug schätzen. Wir werden bestimmt keine Grenzen ändern, aber wir laden Leute ein, einen inneren Frieden zu erleben.»

Auch der Ministerpräsident des Bundesstaates Jammu und Kaschmir Oma Abdullah versuchte eine Brücke zu schlagen: «Politik spielt in Kaschmir immer eine Rolle, in einem Land, das Schmerz und Leid erlebt hat, in einem Land, das sich nach Frieden sehnt. Deshalb lassen sie die Musik für ein paar Stunden die Stimmung heben und uns von einer friedlicheren Zukunft träumen.»

Dirigent Mehta zeigte schliesslich Einsicht und versprach wiederzukommen – dann aber für ein Konzert in einem Stadion für alle Menschen in Kaschmir.

«Es grenzt an Zynismus»

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Gabriela Kägi: «Für mich grenzt das an Zynismus.»
aus Kultur kompakt vom 09.09.2013.
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 36 Sekunden.

Kopfschütteln löste das Konzert auch bei SRF-Musikredaktorin Gabriela Kägi aus. «Ich werde den Eindruck nicht los, dass es sich hier um eine riesige PR-Veranstaltung handelt – um Aufmerksamkeit um jeden Preis für den Dirigenten und das Orchester aus München und nicht zuletzt für das Bayerische Staatsfernsehen, das mit grosser Equipe hingereist ist und das Konzert allein in Europa in 24 Ländern übertragen hat.»

Ein Friedenskonzert in einem Krisengebiet, das grösste Sicherheitsvorkehrungen in Anspruch nimmt für eine geladene Gruppe von Menschen – «für mich grenzt das Ganze an Zynismus», so Kägi, «ich finde das kolonialherrisch und arrogant».

Dirigenten, die sich in Konfliktregionen engagieren, sind nichts Neues, eindrückliche Beispiele gibt es aus den Townships in Südafrika oder mit Strassenkindern aus Venezuela. Und natürlich Daniel Barenboim, der mit seinem West-Eastern Divan Orchestra palästinensische und israelische Musiker in einem Orchester vereint. Da steckt kontinuierliche Arbeit dahinter und Musik ist mehr als nur Unterhaltung, es ist eine Art Lebensschule. Doch in Kaschmir war das anders: «Das Orchester packt seine Instrumente und ist weg. Aber Zubin Mehta und das Bayerische Staatsorchester können sagen, wir waren die Ersten, die dort gespielt haben. Das ist einfach nur chic», sagt Kägi.

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