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Landesteile Vorurteile Camille Scherrer: die «Geek-Heidi» aus der Romandie

Von ihrem Deutschschweizer Grosspapa hat Camille Scherrer die Liebe zur Natur. Doch eigentlich ist die 28-jährige Westschweizerin ein richtiger Nerd. Schon als Jugendliche hat sie sich in komplizierteste Computertechnologie hinein gefrimelt. Dass daraus Kunst würde, hätte sie im Traum nicht gedacht.

Mit ihrer Diplomarbeit «Le Monde des Montagnes», die sie an der renommierten Lausanner Kunsthochschule Ecal einreichte, gewann Camille Scherrer den Preis für das beste Europäische Diplom.

Die Geschichte der Grosseltern

Ihre poetische Arbeit: eine Art nostalgisches Fotoalbum aus einer anderen Zeit, dass durch raffinierte Technologie zu einer animierten Märchenwelt wird. Und die dabei sehr spielerisch die Geschichte ihrer Grosseltern aus dem Thurgau erzählt: «Mon Grandpapa Hans, ist der wichtigste, weil er die Berge so mochte wie ich, darum wollte ich ihn würdigen», erzählt Camille Scherrer.

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Scherrers animierte Ahnengalerie
Aus Kultur Extras vom 03.07.2013.
abspielen. Laufzeit 1 Minute 2 Sekunden.

Zwei Seelen wohnen, ach!

Die Arbeit gefiel nicht nur Nostalgikern. Kurze Zeit später meldet sich das Luxusgüter-Unternehmen Louis Vuitton bei Camille Scherrer. Eine ähnliche Arbeit möchten Sie auch für ihre grosse Retrospektive, für eine umfassende und einmalige Hommage an alle Künstler, die je für das Unternehmen gearbeitet haben. Besser konnte es nicht kommen. Denn so hatte Camille Scherrer die Möglichkeit, die zwei Seelen, die in ihr schlummerten, in ihrer ersten Auftragsarbeit zu verbinden. Und kreierte damit ihr Markenzeichen und die Standards für alle weiteren Aufträge.

Gleichgewicht zwischen zwei Welten

Nahaufnahme der Künstlerin Camille Scherrer.
Legende: Die 28-jährige Westschweizerin Camille Scherrer sieht die Welt durch ihre Nerd-Brille - und schafft Märchenhaftes. ZVG

Mittlerweile hat sie weitere Preise eingeheimst, an wichtigen Ausstellungen teilgenommen und einen Lehrauftrag als Dozentin für Interaction Design an der Kunsthochschule Genf angenommen. Seit fünf Jahren kann Camille Scherrer von ihrer Kunst leben. Ein Glück für die junge Frau, denn es ermöglicht ihr, ihre beiden Universen zu vereinen: Die Tüftelei am Computer, wenn sie über neue Aufgabenstellungen nachdenkt und ihre kleine, überschaubare, private Welt, hoch oben über Vevey, im Waadtland, wo sie sich mit ihrem frisch gebackenen Gatten in ein kleines Holzchalet zurück gezogen hat. «Ich möchte nicht in einem Universum leben, in dem es immer nur um Kunde-Arbeit-Kunde-Arbeit geht. Ich muss wirklich dieses Gleichgewicht zwischen diesen beiden Welten beibehalten.»

Animierende Spaziergänge

Die Natur ist ihr wichtig als Rückzugsort, das betont die Künstlerin immer wieder. Jeden Tag macht sie lange Spaziergänge durch den Wald, der gleich vor ihrer Haustür liegt. Doch der Wald bietet ihr auch Inspiration. «Ich kann stundenlang einen Vogel beobachten, im Moment verharren, dann kommen mir Animationen in den Sinn. Von dem was ich beobachte, kann ich die Bewegungen ableiten.»

Wie sie ihre Beobachtungen in der Arbeit umsetzt, zeigt Camille Scherrer an einer Wand-Installation, die das Lausanner Kunstmuseum Mudac für seine Sammlung erworben hat. «Walls have ears» (Wände haben Ohren) sieht beinahe aus wie eine Tapete, an der eine Ahnengalerie aufgehängt ist. Schaut man genauer, sieht man, dass die Ahnen auf den Fotos Tierköpfe habe.

Fische springen über die Wand

Auf ein Schnippen oder Pfeifen wenden sich alle Köpfe plötzlich dem Betrachter zu, als wären sie lebendig und hätten nur darauf gewartet. Während im Hintergrund Blumen spriessen oder Fische über die Wand springen. Das alles ist sehr verblüffend. Und poetisch. «Genauigkeit ist sehr wichtig», sagt sie «Ich liebe diese Mischung mit den alten Fotos. Es gibt so einen Mix zwischen Vergangenheit und der Realität der Tiere, die auf meinem Computer sind.»

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Die Poesie des Waldes
Aus Kultur Extras vom 03.07.2013.
abspielen. Laufzeit 52 Sekunden.

Camille Scherrers Arbeiten bestechen. Ihre Bildsprache ist eigenwillig, die altmodischen Sujets kommen einem trotzdem bekannt vor. Zusammen mit den überraschenden Animationen bei denen die Interaktion mit dem Betrachter Teil des Ganzen ist, haben ihre Werke grosse Anziehungskraft. – Die ganz grosse, internationale Karriere bleibt für die Waadtländerin trotzdem vorerst mal Nebensache. Eben hat sie geheiratet. Ende August kommt ihr erstes Kind zur Welt. Camille Scherrer wird es trotzdem gelingen, auch dieses neue Universum mit der Natur und ihrer hochtechnisierten Computerwelt zu verbinden.

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