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Die Schwestern Priska Zemp (alias Heidi Happy) und Anet Zemp
Aus Kultur Extras vom 14.11.2014.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 23 Sekunden.
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Gesellschaft & Religion Mit Geschwistern sind wir verbunden – ob wir wollen oder nicht

Geschwister prägen uns. Mehr als die Eltern. Auch wenn wir sie kaum sehen oder sie uns fremd sind. Das Buch «Geschwister» zeigt, welchen Einfluss diese Beziehung hat. Die beiden Sängerinnen Anet und Priska Zemp (alias Heidi Happy) könnten ein Lied davon singen. Im Video sprechen sie darüber.

Anet und Priska Zemp

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Die beiden Schwestern trennt ein Altersunterschied von sieben Jahren. Sie wurden zusammen mit zwei Brüdern gross, die zwischen den beiden Mädchen geboren wurden. Im Interview sprechen sie über ihr besonderes Verhältnis zueinander.

Anet singt und schreibt Songs für die Bands Boogie Fox und Marcant. Priska Zemp ist bekannt als Heidi Happy.

«Dieses Buch ist für meine grosse Schwester». Die Widmung ist fast zu übersehen, so fein und klein vermerkt die kleine Schwester Susann Sitzler, wer in diesem Buch die Feder ganz im Verborgenen mitgeführt hat. Es ist ihre zehn Jahre ältere leibliche Schwester Marlene. Marlene hat das Leben der in Berlin lebenden Schweizer Autorin stark mitgeprägt. Stärker noch als Halbgeschwister und Stiefgeschwister.

Geschwisterbeziehungen sind Zwangsbeziehungen

Die Autorin von «Geschwister, die längste Beziehung des Lebens» kommt also aus einer Patchwork-Familie. Das macht ihr Buch modern. Susann Sitzler trägt Fakten und Daten aus der Geschwisterforschung zusammen, referiert Historisches und Ethnologisches zum Thema, porträtiert bekannte Geschwisterpaare und verwebt all das mit Erfahrungen aus dem eigenen geschwisterreichen Leben. Ein Kaleidoskop, das sich fast wie ein Krimi liest. Und obendrein das Nachdenken über die eigene Familie unweigerlich nach sich zieht.

Geschwisterliebe ist nicht naturgegeben. Wir können sie uns zwar wünschen, aber nüchtern betrachtet ist die Beziehung zur Schwester oder dem Bruder erstmal einfach erzwungen. Geschwister bekommt man ungefragt. Man hat sich mit ihnen abzufinden. «Gerade in dieser Unausweichlichkeit liegt viel Glück, viel Sicherheit und eine Chance», meint die Autorin. Auf jeden Fall muss man sich der Beziehung stellen.

Intimität ohne Sex

Wer in den gleichen vier Wänden aufwächst, bekommt fast alles mit: die Ängste vor dem bösen Traum mit dem Räuber, das Lieblingsessen, den Schwarm für den Französischlehrer, die erste Verliebtheit und den ersten Pickel. Geschwister kennen sich, bevor jeder von ihnen eine gesellschaftliche Rolle einnimmt. Vor Geschwistern kann man das Gesicht nicht verlieren. Es gibt wenig Tabus. Susanne Sitzler: «Die Betriebstemperatur ist eine andere als mit Freundinnen und Kollegen.» Mit Geschwistern lernen wir intim zu sein – und dennoch keinen Sex zu haben. Eine Seltenheit.

Mit Geschwistern spielen wir uns warm fürs Leben. Und das sieht nicht immer nach «Friede, Freude, Eierkuchen» aus. Da wird gestritten und gekämpft. Da geht es um Grenzen der Macht und um Reviermarkierung. Da geht es um «Krieg und Frieden», aber auch um Eintracht und Verbündung gegen die mächtigen Eltern. Die stärksten Emotionen können ausgespielt werden. Denn eines ist sicher: Man bleibt Bruder oder Schwester. Das Terrain ist gesichert.

Und die Einzelkinder?

Buchhinweis

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Susanne Sitzler: «Geschwister. Die längste Beziehung des Lebens.» Klett Cotta, 2014.

Schön blöd, wer das alles nicht hat? Die Autorin verneint: «Es gibt auch ausserfamiliäre Geschwisterlichkeit.» Die lange Freundschaft mit dem Nachbarskind kann die Intensität einer Geschwisterbeziehung erreichen – Wahlverwandtschaft von klein auf. Das Vorurteil, nach dem Einzelkinder verwöhnter, egoistischer und unsicherer im Leben stehen, hat sich durch keine einzige Forschung erhärtet. Biologisch sind heute mit dem Trend zu kleinen Familie fast 40 Prozent aller Kinder Einzelkinder. Doch in Wirklichkeit bleiben im modernen Liebesdurcheinander von Patchwork-Familien nur 25 Prozent aller Kinder bis zum 18. Lebensjahr ohne Geschwistererfahrung.

Das lebendige Familienarchiv

Geschwister sind die wichtigsten Erinnerungshelfer. Sie sind einander die wichtigsten Zeugen der Kindheit. Sie sind ein lebendiges Familienarchiv. Das wird wichtiger, wenn die Eltern gebrechlich werden und sterben. «Weisst du noch?» Eine Zauberfrage! Und schon geht die Schatztruhe der Erinnerung auf.

In ihrem sehr empfehlenswerten Sachbuch schreibt Susann Sitzler dazu: «Ein geschwisterliches Stichwort genügt. Es braucht keine Erklärung. Alles ist da. Augenblicklich. Alle Begebenheiten. Alle Farben und Bilder. Alle Gerüche. Und vor allem alle Gefühle. So als wäre es gestern gewesen.»

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