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Interview mit Theo Wehner «Selbst das Scheitern wird zum Erfolg umgemünzt»

Heute scheinen Erfolge und «Likes» das Mass der Dinge. Arbeitspsychologe Theo Wehner interessiert sich dabei besonders für Pannen, Misserfolge und das Scheitern. Er arbeitet an der Ausstellung «Ein Knacks im Leben».

SRF Kultur: Die so genannten «Fuckup Nights» boomen. Abende, an denen sich vier, fünf Leute in einem kurzen Vortrag vom beruflichen Scheitern, von den Pannen und Pleiten erzählen. Ist das ein emanzipierter Umgang mit Fehlern, quasi eine kreative Umsetzung des Satzes «Aus Fehlern lernen»?

Zur Person

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Theo Wehner ist emeritierter Professor für Arbeitspsychologie an der ETH Zürich und Co-Kurator der Ausstellung «Ein Knacks im Leben».

Theo Wehner: Nein, das glaube ich nicht. Der Fehler ist viel harmloser als das Scheitern. Mit dem Fehler verfehle ich das Ziel. Das Scheitern ist der jähe Unterbruch auf dem Weg zum Ziel. Gesamtgesellschaftlich ist der Fehler schon tabuisiert, in Betrieben erst recht. Mit diesen «Fuckup Nights» schlägt das Pendel nun auf die andere Seite aus. Es ist eine Art, aus dem Scheitern eine Show zu machen.

Ist das gut?

Ich sehe das ambivalent. Einerseits reisst es die Person aus der Passivität. Er steht vors Publikum, macht das Scheitern öffentlich. Und dabei erzählt er von den Bedingungen und nicht nur von seiner Schwäche. Interessant finde ich auch, dass an den Abenden keine Schadenfreude zu spüren ist. Da ist viel Humor, auch etwas Clowneskes und manchmal eine Portion Selbstironie vorhanden.

Veranstaltungshinweis

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Die Ausstellung «Ein Knacks im Leben. Wir scheitern... und wie weiter?» ist zu sehen im Vögele Kulturzentrum in Pfäffikon, vom 20. November bis 26. März 2017.

Andererseits frage ich mich, ob die Beteiligten etwas lernen, ob die Auftritte wirklich eine reinigende Wirkung haben. Denn die Show hat Eventcharakter: Der Auftritt muss unterhaltend sein. Mein Eindruck ist auf jeden Fall, dass viele nach dem Auftritt auf der Bühne einen Kater haben.

Warum sind diese «Fuckup Nights» erfolgreich?

Die liebste Erklärung wäre mir, dass sich hier eine Kultur des Scheiterns entwickelt, da ja immer auch von den Bedingungen des Scheiterns gesprochen wird. Die weniger schöne Interpretation ist, dass einfach alles zum Erfolg umgemünzt werden muss.

Indem wir den Erfolg dermassen überhöhen, haben wir bei Fehlern schneller das Gefühl, gescheitert zu sein.

Das Scheitern muss heroisch und mit Erfolg zelebriert werden, und dabei wird so getan, als fühle man sich immun gegenüber dem, was verletzend und kränkend war. Wir müssen diese Bewegung mit dem offensiven und showartigen Umgang mit dem Scheitern wohlwollend kritisch verfolgen.

Diese Bewegung, das Scheitern in einem Event öffentlich zu machen, ist 2012 in Mexiko entstanden.

Interessant ist, dass die Bewegung in einem christlichen Land entstanden ist, wo Fehler noch viel tabuisierter sind als bei uns.

Scheitert man heute häufiger als früher?

Nein, das glaube ich nicht. Aber indem wir den Erfolg dermassen überhöhen, haben wir bei Fehlern schneller das Gefühl, gescheitert zu sein. Ich habe zum Beispiel Studierende erlebt, die wegen einer einzigen Note von 3-4 in einem Fach gesagt haben, ihr Studium sei gescheitert.

Beobachten Sie das auch in der Arbeitswelt?

Ja. Die betriebliche Lebenswelt ist nur auf Erfolg und beste Qualität aus. Es ist eigentlich nicht vorgesehen, dass etwas schief gehen kann. In 98,4 Prozent der Fälle läuft alles gut. Was aber ist mit den restlichen 1,6 Prozent?

Statt über die Fehler und Qualitätsdefizite zu staunen und Produkte und Abläufe zu verbessern, wird nach dem Schuldigen und neuen Qualitätssicherungen gesucht, damit ein Fehler nie wieder vorkommt. Das sind totale Überforderungen der sozialen Systeme. Denn selbst Roboter machen Fehler.

Die deutsche Künstlerin Heike Bollig sammelt beispielsweise fehlerhafte Massenprodukte. Wenn ein Marmeladeglas statt eine Etikette fälschlicherweise 40 gefächerte Etiketten hat, sieht das plötzlich sehr schön aus. Das Fehlerhafte wird zu einem ästhetischen Objekt, das uns auch schmunzeln lässt.

Sie haben gesagt, dass man heute nicht häufiger scheitert. Trotzdem gehen in der Schweiz jährlich rund 12‘000 Firmen und Private Konkurs.

Das hat damit zu tun, dass wir weltweit 1000 Mal mehr Startups haben als vor 50 Jahren. Das heisst: Menschen trauen sich viel mehr zu und wagen mehr. Nur wer handelt, kann überhaupt scheitern. Träume und Phantasien können nicht scheitern.

Die Fragen stellte Karin Salm.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 18.11.2016, 12:10 Uhr.

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