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Gesellschaft & Religion Streit ums Frühfranzösisch: Was steckt dahinter?

Um das Frühfranzösisch ist ein Streit entbrannt: Während Lehrerverbände fürchten, dass zwei Fremdsprachen die Primarschüler überfordern, sehen Politiker in der Romandie den nationalen Zusammenhalt in Gefahr. Der Soziolinguist Alexandre Duchêne erklärt, was sich hinter der Debatte verbirgt.

Primarschüler in der Deutschschweiz büffeln heute zwei Sprachen. Zu anspruchsvoll, sagen Lehrerverbände: Die zweite Fremdsprache Französisch soll erst in der Oberstufe eingeführt werden. Gegen diese Vorstellung laufen Politiker aus der Romandie Sturm. Bundesrat Alain Berset befürchtet bereits, dass der «nationale Zusammenhalt» gefährdet ist.

Alexandre Duchêne, warum operieren die Romands mit dem Begriff des «nationalen Zusammenhalts»? Es geht ja nur um die Frage, wann die Schüler mit dem Französischunterricht beginnen sollen.

Zur Person

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Alexandre Duchêne ist Professor für Soziolinguistik an der Universität Freiburg und Mitglied der Direktion des Instituts für Mehrsprachigkeit in Freiburg.

Aus der Perspektive der Minderheit ist es verständlich. Für viele Romands ist diese Debatte eine Art Verrat am Gedanken der nationalen Kohäsion.

Mit der Sprachendebatte tut sich ein symbolisch-politisches Feld auf. Wenn Englisch als erste Fremdsprache bevorzugt wird und das Französisch nun zweitrangig wird, verstehen das gewisse Romands so, dass auch sie nur an zweiter Stelle stehen.

In der Debatte um den Fremdsprachenunterricht geht es ja eigentlich um andere Dinge: um wirtschaftliche Dominanz, um das Verhältnis von Zentrum und Peripherie und letztlich um die Frage, wer wem zuhört.

Die Schweiz präsentiert sich gerne als ein Modell der Vielsprachigkeit, in dem die vier Sprachregionen harmonisch zusammenleben.

Diese Harmonie der Sprachregionen entspricht nicht ganz der Realität. Es gibt Ungleichheiten. Französisch und Italienisch werden von einer zahlenmässigen Minderheit gesprochen, das spielt schon mal eine Rolle.

Die Machtprozesse und Ungleichheiten sind jedoch subtil, komplex und oft unsichtbar. Abgesehen von der wirtschaftlichen und politischen Macht der Deutschschweiz und der höheren Arbeitslosigkeit in Minderheitenregionen gibt es Spannungen im alltäglichen Terrain. Die Romands haben Schwierigkeiten, sich in der Deutschschweiz zu integrieren – das gilt übrigens auch umgekehrt. Sprache ist immer Symbol und Instrument zum Ausschluss und zur Teilhabe in einer Gemeinschaft.

In der Deutschschweiz wird jetzt über die Abschaffung des Frühfranzösisch debattiert. Gibt es diese Diskussionen auch in der Romandie über den Deutschunterricht?

Nicht alle Regionen in der Schweiz können sich solche Diskussionen leisten. Als man in Zürich vor 15 Jahren Englisch an der Primarschule einführte und dadurch Französisch zur zweiten Fremdsprache wurde, gab es einige Romands, die das Deutsch als erste Fremdsprache an Westschweizer Primarschulen abschaffen wollten. Nur ist nie etwas aus diesen Plänen geworden. Deutsch ist und bleibt erste Fremdsprache in Westschweizer Schulen, denn es wäre unverantwortbar, es aus dem Lehrplan zu kippen. Deutsch ist die Sprache, die in diesem Land von der Mehrheit gesprochen wird.

Wie kann man die Gräben zwischen den Sprachregionen überwinden?

Es wird wenig über die Machtverhältnisse zwischen den Sprachregionen diskutiert, obwohl dies ein zentraler Aspekt der Sprachendebatte ist. Den Deutschschweizern ist wenig bewusst, dass sie mehr Zugang haben zu Ressourcen, dass viele relevante Entscheidungen für unser Land in der Deutschschweiz gefällt werden. Die Sprachpolitik ist ein wichtiger Aspekt der dazu beitragen kann, gewisse Ungleichheiten zu balancieren. Aber alleine genügt sie nicht aus, da die Machtprozesse auch wirtschaftlicher und politischer Natur sind.

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