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Gesellschaft & Religion Unentschuldbar: Heidegger war nicht aus Versehen politisch

Der Philosoph Martin Heidegger ist schon länger umstritten – wegen seiner Nähe zum Nationalsozialismus. Die Wochenzeitung «Die Zeit» hat nun Heideggers Briefe an seinen Bruder Fritz veröffentlicht, die noch mehr Kritik schüren. Experte Peter Trawny findet aber, man solle nicht alles verwerfen.

Heideggers Briefe

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«Die Zeit» hat Briefe von Martin Heidegger an seinen Bruder Fritz vorab veröffentlicht. Publiziert werden sie demnächst im Buch «Heidegger und der Antisemitismus», welches vom Rabbiner Walter Homolka und Martin Heideggers Enkel und Nachlassverwalter Arnulf Heidegger beim Herder Verlag herausgegeben wird.

SRF: Wie schätzen Sie die Briefe zwischen Martin Heidegger und seinem Bruder ein?

Peter Trawny: Die Briefe ergänzen das Bild, das wir durch die Veröffentlichung der «Schwarzen Hefte» sowie durch die Veröffentlichung seines Briefwechsels mit seiner Frau haben. Sie bestätigen, dass es bei Heidegger so was wie ein antisemitisches Ressentiment gibt.

Wenn man die Erkenntnisse aus den Briefen und den «Schwarzen Heften» zusammenfassen will, kann man dann sagen, Heidegger war ein glühender Verehrer des Nationalsozialismus?

Man kann sagen, dass er bis zu einem gewissen Zeitpunkt von der real existierenden NSDAP und vor allem von ihrem Führer Adolf Hitler eine tiefgehende Veränderung in Deutschland erwartet hat. Diese Erwartung ist dann allerdings nach ein paar Jahren abgeklungen. Das heisst aber nicht, dass er aufgehört hätte, sich loyal zum nationalsozialistischen Reich zu verhalten.

Audio
Peter Trawny zu Martin Heidegger
aus Kultur kompakt vom 13.10.2016.
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 44 Sekunden.

Hinzu kommt, dass er an so etwas wie einen geistigen Nationalsozialismus gedacht hat, an dem er dann wohl auch in seiner Philosophie weitergearbeitet hat. Das heisst, im Grunde gibt es die problematischsten Äusserungen, auch über den Holocaust, zwischen 1945 und 1947. Am erschütterndsten ist wohl, dass Heidegger – selbst nach der Bekanntmachung der Verbrechen – nicht aufgehört hat, an einem gewissen Nationalismus festzuhalten.

Es gab eine gewisse Apologie, die Heidegger zu einem unpolitischen Volltrottel erklärt hat, der aus Versehen ins Politische geraten war. Diese apologetische Einstellung können wir mittlerweile vergessen.

Zur Person

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Legende: Jens Grossmann

Peter Trawny ist Leiter des Martin-Heidegger-Instituts an der Bergischen Universität Wuppertal und gilt als einer der anerkanntesten Heidegger-Kenner im deutschsprachigen Raum.

Hat er an eine jüdische Weltverschwörung geglaubt?

Die antisemitischen Äusserungen in den «Schwarzen Heften» sowie auch in den Briefen lassen darauf schliessen, dass er von so etwas wie einer jüdischen Weltverschwörung – auch wenn er das so nicht nennt – ausgegangen ist.

Welche Konsequenzen haben die veröffentlichten Briefe für die Heidegger-Forschung?

Die Veröffentlichung dieser Briefe hat für die Heidegger-Forschung keine Konsequenzen, da die Sachverhalte in den Briefen mehr oder weniger bekannt waren.

Die Veröffentlichung der letzten Jahre, also vor allem die Veröffentlichung der «Schwarzen Hefte», hatte Konsequenzen für die Heidegger-Forschung: Dahingehend, dass die Heidegger-Forschung in Zukunft fundamental kritisch sein muss. Sie muss wachsam sein und tatsächlich auch alles einmal auf einen Prüfstand stellen.

Sollte man sich von seiner Philosophie verabschieden?

Ich teile nicht die Ansicht, dass Heideggers Philosophie damit am Ende ist. Es gibt Heidegger-Kritiker, die nun einen völligen Abschied von dieser Philosophie fordern. Zugleich postulieren diese, dass die Heideggerschen Texte nun in die Literatur des Nationalsozialismus eingeordnet werden müssen. Das bedeutet, direkt neben «Mein Kampf» und Rosenbergs «Mythus».

Eine solche Generalverwerfung teile ich nicht. Die substantiellen, philosophischen Erkenntnisse und Entwürfe sind meines Erachtens nicht von diesem Antisemitismus berührt, der in den philosophischen Texten erst Ende der Dreissigerjahre auftaucht. Diese philosophische Qualität müssen wir weiterhin im Blick behalten.

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