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Gesellschaft & Religion Verlockung Fastfood: Wie grosse Konzerne die Welt ernähren

Grosse Nahrungsmittelkonzerne wachsen konstant und verdrängen, unter dem Deckmantel der Modernität, weltweit lokale Anbieter. Damit verändern sie nicht nur die Esskultur, sondern beeinflussen auch die lokale Wirtschaft und die Gesundheit der Bevölkerung.

  • Nahrungsmittelkonzerne haben sich mit Fertigprodukten in die Märkte Afrikas, Asiens und Lateinamerikas gedrängt – und kontrollieren dabei die ganze Produktionskette.
  • Die neuen Mittelschichten sind die treibende Kraft hinter dem Wachstum der Konzerne, aber auch Arme greifen immer mehr zu Fertigprodukten.
  • Die Fertigprodukte sind für viele gesundheitliche Probleme verantwortlich: In Südafrika beispielsweise sind 42 Prozent der Frauen fettleibig.

Auf dem kleinen, schmucken Marché Kermel im Zentrum Dakars türmen sich die Auslagen: Gombos, Tomaten, Zwiebeln, Reis, Salat, an einigen Ständen wird frischer Fisch verkauft, daneben Fleisch vom eben geschlachteten Rind. Mittendrin, bei den Ständen mit den Gewürzen: eine Pyramide aus Maggi-Würfeln.

Ein grosses Plakat hängt an einer Bauruine.
Legende: Magischer Würfel: Werbung für den Maggiwürfel in Dakar, Senegal. SRF/Christoph Keller

Moderne Gewürze «für das Leben»

Hier im Senegal heissen sie «Ami». Beworben werden die Würfel mit dem Satz «Pour la vie», für das Leben. Die kleinen Würfel, so beschrieb es der Afrikakenner, Journalist und Schriftsteller Al Imfeld, sind in Afrika das Symbol der Modernität. Sie enthalten, schrieb er, «die Explosion aller künftigen Welten».

Mit den «cubes magiques», den magischen Würfeln, beginne «die Entwicklung in die moderne und monetarisierte Welt». Sie seien «der Kubismus der Versuchung; ohne Versuchung kein Fortschritt».

Maggi sei «der Kubismus der Esskultur, die Sehnsucht nach der Moderne». Wer modern sein will, ersetzt die traditionellen Gewürze – meist aus getrocknetem Fisch hergestellt – mit dem «magischen Würfel».

Nescafé ist überall

Maggi gehört Nestlé. Mit dem Maggiwürfel hat Nestlé diesen Inbegriff von Modernität bis in die hintersten Dörfer Afrikas gebracht. Aber nicht nur mit dem Maggi-Würfel oder dem viel diskutierten Milchpulver, das zur Kampagne «Nestlé tötet Babys» führte, hat der Nahrungsmittelkonzern die Märkte in armen Ländern erobert.

Zuvorderst stand von Anfang an das Kaffeepulver von Nescafé. Mit dem lässt sich überall ein geniessbarer Kaffee brauen. Schnell und unkompliziert. 4600 Tassen Nescafé werden weltweit getrunken, pro Sekunde. 10 Milliarden Franken Umsatz macht Nescafé pro Jahr. Nescafé ist die meistkonsumierte Kaffeemarke, auch in kaffeeproduzierenden Ländern wie Äthiopien, wie Nicaragua, wie Guatemala.

Grosse Konzerne kontrollieren die Produktion

Was mit dem Maggiwürfel und Nescafé begann, hat sich durchgesetzt: die Magie der fertigen Produkte ist riesig. Das Schnelle, das Fertige und seine Verlockung – darin besteht die Formel für den weltweiten Durchmarsch der Nahrungsmittelkonzerne, vor allem in den Ländern Afrikas, in Asien und Lateinamerika.

Um solide 4,2 Prozent ist Nestlé im Jahr 2015 gewachsen, auch andere Konzerne der Nahrungsmittelbranche wachsen konstant. Das Problem der immer grösseren Marktmacht sieht die entwicklungspolitische Organisation Erklärung von Bern (EvB) vor allem darin, dass Konzerne wie Nestlé, Unilever und Danone die gesamte Produktionskette von der Ernte bis zum Fertigprodukt kontrollieren.

Mit dem Mittelstand wachsen die Konzerne

Die fortschreitende Industrialisierung der Produktion von Lebensmitteln bedrohe Menschen wie Umwelt. «Eine nachhaltige Landwirtschaft baut auf lokaler Produktion auf und bezieht Kleinbauern, die heute häufig die ersten Hungersnot-Opfer im globalen Süden sind, politisch und praktisch mit ein», schreibt die EvB in einer Stellungnahme.

Heute zeigen sich vielerorts die Folgen dieser Marktmacht. In den Ländern des Südens wächst die Zahl der Menschen, die ihre Lebensmittel nicht mehr auf dem lokalen Markt, sondern im Supermarkt einkaufen. Die neuen Mittelschichten sind die ersten Wachstumstreiber für die Nahrungsmittelkonzerne.

Fastfood verdrängt traditionelle Nahrung

Es gibt aber auch immer mehr Arme, die statt zur eigenen, meist gesunden, traditionellen Nahrung zum Billigsortiment der Konzerne greifen: zu Fastfood. Fastfood ist ungesund. Die Folgen sind in manchen Ländern schwerwiegend. Nokutula Mhene, eine Ernährungsexpertin der Entwicklungsorganisation Oxfam, sagt, dass 42 Prozent der erwachsenen Frauen Südafrikas fettleibig seien.

Die Diabetesrate habe sich seit 1990 verdreifacht. Vor allem Kinder seien betroffen. Schuld, so die Analyse des Gesundheitsexperten David Sanders, seien die sehr billigen, aber verlockenden Fastfoodprodukte in den Regalen der Supermärkte.

Fastfoodprodukte enthielten im Wesentlichen Stärke, Zucker, Fett, Salz, Geschmacks-, Farb- und Konservierungsstoffe – Mangelernährung sei die Folge. So gibt es denn in den Ländern des Südens zwei grosse, schwerwiegende Ernährungsprobleme.

Modernität, falsch verstanden

Auf dem Land hungern Kleinbauern, die immer weniger für ihre eigene Subsistenz anbauen können. Dürre, sinkende Weltmarktpreise und der Druck der Nahrungsmittelindustrie machen ihnen das Leben schwer.

In den Städten leben viele Mangelernährte, die sich mit billigem Fastfood ernähren, weil sie verlockt werden von schillernden Angeboten, Marken und Versprechen. Falsch verstandene Modernität, die einst Einzug hielt mit einem kleinen, magischen Würfel.

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