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Gesellschaft & Religion Von wegen König: Der Kunde von heute muss arbeiten

Heute zählt nicht mehr der Dienst am Kunden, sondern der Kunde im Dienst: Als Kunden arbeiten wir mit – freiwillig, gratis, jederzeit und auf eigene Verantwortung. Was die einen mit Stolz erfüllt, sorgt bei anderen für Stress und «Customer Burnout».

Noch bis in die 70er Jahre kaufte man ein Produkt im Geschäft, buchte eine Reise im Reisebüro, bezahlte seine Rechnungen am Schalter. Man kaufte einen Tisch im Möbelgeschäft, der einem nach Hause geliefert wurde. Seit der Einführung der Selbstbedienung und seitdem der Käufer oft für die Zusammenstellung und Fertigung des Produkts zuständig ist, hat sich vieles verändert.

Die Automatisierung entwickelt sich rasant. Seit dem Aufkommen von Internet und Smartphone bewältigen wir in unserer Freizeit komplexe Arbeitsabläufe, für die einst Mitarbeiter angestellt waren. Für die technikaffinen kann das eine Erleichterung, eine Befreiung sein. Für all jene, die sich schwerer mit der Technik tun, wird es schnell zur Belastung und kann zu Stress führen.

Der «arbeitende Kunde»

Der deutsche Soziologe Günter Voss prägte den Begriff vom «arbeitenden Kunden». Meist investiert er nur ein paar Minuten. Zusammengerechnet leistet er aber Millionen von Arbeitsstunden – freiwillig und unentgeltlich – und hinterlässt dabei auch gleich noch wertvolle Daten. Mit einem Aufstand der Kundschaft ist aber nicht zu rechnen.

Da die Entwicklung schleichend vorangegangen ist, und die Änderungen schrittweise eingeführt werden, sind wir in den meisten Fällen bereit mitzumachen. Man will ja zu den Smarten gehören und nicht als rückständig gelten. Die Geräte dafür, den Computer und das Smartphone, schaffen wir selbst an.

Die kostenlose Support-Community

Es hat natürlich Vorteile für den Kunden, wenn er mitarbeitet: Wer selber montiert, hat ein billigeres Produkt. Wer den Zahlungsverkehr elektronisch abwickelt, kann das zu jeder Tageszeit tun. Eine Reise online zu buchen, geht schneller und günstiger als im Reisebüro. Und in jedem Fall gibt es keine langen Wartezeiten an Schaltern, und man ist unabhängig von den Launen des Personals.

Es macht auch Spass und erfüllt einen mit Stolz, wenn man die nicht immer ganz einfachen Abläufe erfolgreich geschafft hat. Und falls man Hilfe braucht, findet sich im Internet bestimmt eine Support-Community, wo Kunden andere Kunden unterstützen. Auch deren Arbeit ist selbstverständlich kostenlos.

Was aber, wenn dem arbeitenden Konsumenten ein Fehler passiert? Wer haftet bei einer falschen Buchung, einem fehlerhaften Warenscan? Wird mit der Auslagerung der Arbeit auch gleich noch die ganze Verantwortung ausgelagert?

Überarbeitete Kunden im digitalen Stress

Hand eines Kunden mit Scanner und Weinflasche.
Legende: Der Kunde im digitalen Stress: einkaufen, scannen, bezahlen. Alles aus einer Hand. Keystone

Die Mitarbeit als Kunde ist mittlerweile fester Bestandteil unserer Dienstleistungsgesellschaft. So sind wir auch in unserer Freizeit zunehmend produktiv, und in unserem Privatleben gibt es immer mehr ökonomisch relevante Tätigkeiten. Bereits spricht man vom «digitalen Stress» und «Customer Burnout».

Nur, wen interessiert das? Als Arbeitnehmer könnten wir uns wehren, könnten auf Arbeitsrecht und vertragliche Regelungen pochen. Doch Konsumentenarbeit ist freiwillig, wer nicht will, muss nicht. Nur: Wer nicht mitmacht, wird immer öfter finanziell bestraft oder von Dienstleistungen ausgeschlossen.

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