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Gesellschaft & Religion Wenn das Pflegepersonal fehlt: Rüstige Rentner können helfen

Die Schweiz wird immer älter. Die höhere Lebenserwartung stellt die Gesellschaft vor eine Herausforderung, die neue Lösungsansätze braucht. Die Stadt St. Gallen hat deshalb ein innovatives Zeitvorsorge-System aufgebaut, bei dem fitte Rentner hilfsbedürftige Senioren im Alltag unterstützen.

  • Die Schweizer Bevölkerung wird immer älter, es fehlt jedoch das nötige Pflegepersonal.
  • Ein Lösungsansatz: Fitte Rentner helfen pflegebedürftigen Senioren – unentgeltlich.
  • Die Zeit, die sie dafür aufwenden, bekommen sie gutgeschrieben für den Fall, dass sie selbst einmal Hilfe benötigen.

Immer mehr ältere Personen möchten so lange wie möglich ein selbstbestimmtes Leben in ihren eigenen vier Wänden führen. Viele unter ihnen kämpfen jedoch mit kleineren, altersbedingten oder sozialen Beeinträchtigungen, die eine bezahlte Hilfe verunmöglichen und schliesslich einen Wechsel ins Altersheim bedingen. Deshalb sind neue Betreuungsformen dringend gefragt.

«Im Jahr 2020 werden rund 60'000 Pflegefachpersonen fehlen. Diese zu erwartende Entwicklung hat unter anderem dazu geführt, dass St. Gallen als erste Schweizer Stadt die Stiftung Zeitvorsorge umgesetzt hat, eine ursprüngliche Idee von Alt-Bundesrat Pascal Couchepin», sagt Geschäftsleiterin Priska Muggli.

Keine klassische Freiwilligenarbeit

Es handelt sich dabei um ein Ergänzungsangebot. Rüstige Pensionierte greifen hilfsbedürftigen, älteren Menschen im Haushalt unter die Arme, beispielsweise in Form eines gemeinsamen Gesprächs, Spaziergangs oder einer Begleitung bei einem Arztbesuch.

Im Vergleich zu manch anderen Unterstützungsangeboten handelt es sich nicht um eine klassische Freiwilligenarbeit. Die fitten Rentner bekommen als Gegenleistung auf einem individuellen Konto die geleistete Zeit gutgeschrieben. Wenn diese eines Tages also selbst auf Betreuung angewiesen sind, besteht die Möglichkeit, die Zeit einzulösen.

Wir werden über 100 – Ja und?

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Unsere Lebenserwartung steigt und steigt. Kinder, die heute auf die Welt kommen, können damit rechnen über 100 Jahre alt zu werden. Das wissen wir – aber ist die Gesellschaft tatsächlich darauf vorbereitet? Mehr zu dem Thema finden Sie in unserem Schwerpunkt «Wir werden über 100 – Ja und?».

Mit gutem Gewissen Hilfe annehmen

Die Stadt St. Gallen sichert die angehäuften Zeitguthaben mit einem finanziellen Betrag ab, auf welchen die Zeitvorsorgenden zurückgreifen können, falls das System doch nicht funktionieren sollte.

Ursula Lieberherr, Betreuerin beim Zeitvorsorge-Projekt, besucht die 90-jährige Maria Zangerl wöchentlich. «Ich kann dereinst mit gutem Gewissen auf die geleisteten Stunden zurückgreifen, da ich selbst auch einen älteren Menschen unterstützt habe», so die 64-jährige Pensionärin.

Kümmern sich Angehörige zu wenig?

Das Zeitvorsorge-Projekt ist aber auch mit einigen Herausforderungen verbunden, was die Zeitvorsorge-Beziehungen zwischen den jüngeren und älteren Rentnern betrifft. Dazu gehört auch auszuloten, wieviel Nähe man gegenseitig zulassen kann. Einfühlungsvermögen und Sensibilität gehören deshalb zu den wichtigsten Voraussetzungen eines Bewerbers.

Gleichzeitig stellt sich auch die Frage, ob sich Angehörige zu wenig um ihre Eltern und Verwandten kümmern. Priska Muggli sagt: «Manche Kinder leben im Ausland, sind mit ihren eigenen Familien beschäftigt und zudem sind nicht wenige ältere Menschen kinderlos, eine Tendenz, die künftig noch zunehmen dürfte.» Unsere Gesellschaft sei komplexer und anspruchsvoller geworden.

Fast eine Million 80-Jährige im Jahr 2040

Auch die Stadt Luzern bietet ein ähnliches Unterstützungsangebot an. Die Genossenschaft Zeitgut, die vor einigen Jahren von Pflegefachpersonen gegründet wurde, gilt als Nachbarschaftshilfe.

Im Unterschied zum Angebot aus St. Gallen können auch jüngere Personen älteren Menschen Unterstützung anbieten. Die Zeitgut-Nachbarschaftshilfe versteht sich deshalb explizit als generationenübergreifendes Angebot.

Auch in anderen Kanton besteht Interesse am innovativen Zeitvorsorge-Projekt. Das scheint auch notwendig zu sein, denn im Jahr 2040 dürften in der Schweiz mehr als 880'000 80-jährige Personen leben.

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