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Mensch als Forschungsobjekt Wohin mit den Leichen im Keller?

Menschen sammeln zu «wissenschaftlichen Zwecken»: Das war vor allem im 18. und 19. Jahrhundert auf der ganzen Welt verbreitet. Heute stellt sich die Frage: Wie umgehen mit den menschlichen Überresten?

Das Wichtigste in Kürze

  • Vor allem im 18. und 19. Jahrhundert wurden auf der ganzen Welt Menschen gesammelt zu «wissenschaftlichen Zwecken».
  • Wissenschaftliches Interesse und nackte Sensationsgier gingen dabei Hand in Hand. So wurden etwa auch Mordopfer vermessen.
  • Auch die Schweiz kennt solche Fälle: 1882 starben fünf Menschen aus Feuerland in Zürich. Ihre Überreste wurden in der Universität aufbewahrt.
  • Heute muss die Wissenschaft diese Vergangenheit aufarbeiten und sich die Frage stellen: Was tun mit menschlichen Überresten in Museen?

Als die Europäer anfingen, die Welt zu entdecken, sammelten sie, was das Zeug hielt: Tiere, Pflanzen, Steine und auch Menschen – Tote ebenso wie Lebende. Je exotischer, desto interessanter.

Wer ist noch Mensch, wer schon Tier?

Doch bald begannen die Zeitgenossen, sich angesichts der andersartigen Fülle aus Übersee taxonomische Fragen zu stellen – auch in Bezug auf Menschen: Sind diese seltsamen Wesen – diese Papua, Indianer, Eskimo, Maori, Koisan, Aborigines – wirklich Menschen? Wenn ja – welcher «Rasse» gehörten sie an? Wer war am weitesten entwickelt – sprich: den Europäern am nächsten? Welche näher beim Tier?

Um das herauszufinden, vermass man diese fremden Wesen – ihre Schädel und Knochen waren heissbegehrt bei den Europäern.

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Skrupellose Gier nach Menschenknochen

Wissenschaftliches Interesse und nackte Sensationsgier gingen dabei Hand in Hand: Seriöse Sammler bezahlten die «Einheimischen», wenn sie ihnen dafür die Schädel und Knochen ihrer Ahnen oder Feinde überliessen.

Andere Sammler hingegen schreckten weder vor Grabplünderungen zurück noch vor dem Abtransport von Ermordeten.

Die «Hottentotten Venus» als lebende Freakshow

Immer wieder brachten die europäischen Reisenden auch lebende Menschen nach Europa. Sarah Baartmann aus Südafrika zum Beispiel, die 1810 als «Hottentotten Venus» in London und Paris in Freakshows ausgestellt wurde.

Nach ihrem frühen Tod wurden ihr Hirn und ihre Genitalien konserviert und im Museum aufbewahrt. Erst als Nelson Mandela mit grossen Druck ihre Rückkehr nach Südafrika bewirkte, wurde sie dort 2002 beerdigt.

Der tote «Hofmohr» im Naturalienkabinett

Ebenso traurige Berühmtheit erlangte der Nigerianer Angelo Soliman. Als Junge kam er nach Europa, erhielt als «Hofmohr» eine beachtliche Bildung, arbeitete als Erzieher diverser Adelssöhne und genoss grosses Ansehen in der besseren Wiener Gesellschaft.

Als er 1796 starb, zog man ihm seine Haut ab, stopften ihn aus und stellten ihn – mit Federn und Muscheln zum Wilden stilisiert – im kaiserlichen Naturalienkabinett zur Schau.

Auch die Schweiz ist nicht unschuldig

Auch in der Schweiz gibt es solche Geschichten. In Zürich zum Beispiel lagerten ab 1882 die sterblichen Überreste von fünf Männer und Frauen aus Feuerland: Mitglieder der Hagenbeckschen Völkerschau, die alle fünf kaum in Zürich angekommen, rasch hintereinander starben.

Ihre Skelette – im Anatomischen und Anthropologischen Institut aufbewahrt – wurden erst 2010 auf Anfrage aus Chile repatriiert und in Würde beerdigt.

Wie heute mit den Überresten umgehen?

Die Aufarbeitung solcher Geschichten hat in den letzten Jahren die Aufmerksamkeit auch auf die weniger spektakulären menschlichen Überreste in den Museumsbeständen gelenkt: auf all die Schädel, Skelette, Mumien, Schrumpfköpfe, auf die mit menschlichen Zähnen und Haaren verzierten Ritualgegenstände, die die europäischen Sammler von ihren Reisen mitgebracht haben.

Wie soll man heute mit ihnen umgehen? Beerdigen? Zurückgeben? Weiter in der Sammlung behalten? Wenn ja – was damit tun?

Die Vorschläge des deutschen Museumsbunds

In Australien, Amerika und Neuseeland ist diese Diskussion schon länger in Gange, denn die Ureinwohner wehrten sich sowohl für ihre Rechte als auch für einen würdigen Umgang mit den «sterblichen Überresten» ihrer Vorfahren.

In Europa hat das British Museum im Jahr 2000 den ersten Schritt zur Aufarbeitung dieses Kapitels getan und zusammen mit andern wichtigen Museen eine umfassende «Guidance for the Care of Human Remains in Museums» erarbeitet.

2013 folgte der deutsche Museumsbund mit einer ausführlichen Analyse des Problems und entsprechenden Empfehlungen.

Es geht auch um unsere Geschichte

Eine etwas seltsame, aber hochinteressante Lektüre, die uns die Komplexität des Themas vor Augen führt. Denn in den Museen lagern ja nicht nur die zu hinterfragenden menschlichen Überreste aus kolonialen Zeiten, sondern auch diejenigen unserer eigenen Geschichte: Reliquien aus dem Mittelalter, Schädel von Gefallenen aus den eidgenössischen Schlachten, Gletschermumien, prähistorische Skelette und vieles mehr.

Der wissenschaftliche Wert

Noch immer sind diese «Human Remains» von wissenschaftlichem Wert. Wenn auch die Rassenfrage vom Tisch ist, so erzählen sie uns trotzdem viel über den Umgang der Menschen mit dem Tod, über Lebensumstände in den verschiedenen Zeiten und Regionen, über Völkerwanderungen und Menschheitsgeschichte. Allerdings: Immer vorausgesetzt, dass sie rechtmässig erworben und ihre Provenienz gut dokumentiert ist.

Sendung: SRF 2 Kultur, Kontext, 17.08.2017, 9:02 Uhr.

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