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Archäologie Zoff um archäologische Dokumente in Zurzach

Wem gehören die Dokumentationen von über 50 Grabungen, die der Mittelalter-Archäologe Hans Rudolf Sennhauser ab Mitte der 50er-Jahre geleitet hat? Die Fronten zwischen der Stiftung des Historikers und einigen Kantonsarchäologen sind verhärtet.

Bei jedem Schritt ächzt das Holz des alten Riegelhauses in Zurzach. In diesem Bau aus dem 17. Jahrhundert befindet sich die «Stiftung für Forschung in Spätantike und Mittelalter», gegründet von Hans Rudolf Sennhauser. Hier lebt und arbeitet der renommierte Historiker, der ab den späten 50er-Jahren im Auftrag des Bundes zahlreiche Kirchen- und Klosterausgrabungen geleitet hat.

Aussenansicht des Riegelhauses «Leuen» in Zurzach
Legende: Der Sitz der «Stiftung für Forschung in Spätantike und Mittelalter» ist im Leuen in Zurzach untergebracht. ZVG

Damals begann das Interesse an der Mittelalter-Archäologie gerade erst zu erwachen; der spätere Professor an der Universität Zürich und an der ETH leistete Pionierarbeit, um diesen Fachbereich in der Schweiz aufzubauen.

Die Funde, die er mit seinem Team bei Grabungen machte, etwa im Basler Münster oder im Kloster St. Gallen, habe er damals oft nirgends einlagern können, sagt Sennhauser. Denn es gab zu jener Zeit noch keine professionellen Kantonsarchäologien.

Und die Wertschätzung für die mittelalterlichen Funde war oft gering. «Man hat in St. Gallen wertvolle Grabungsfunde weggeworfen», erzählt Sennhauser. «Man hat kein Verhältnis zu diesen Dingen gehabt.»

Ausgegrabenes Relief
Legende: Sennhauser lagerte einige Ausgrabungen in Zurzach ein. ZVG / Eckart Kühne

Funde wurden zurückgegeben, Dokumentationen nicht

Also lagerte Sennhauser viele Funde in seinem Haus in Zurzach ein, bis er sie vor zehn Jahren den Kantonen zurückgab, denen sie von Gesetzes wegen gehören. Der Streitpunkt sind heute Grabungsdokumentationen, die immer noch in seinem Büro in Zurzach sind.

«Wir haben Mühe mit der Vorstellung, dass zwar die Funde hier sind, die Dokumentationen aber nicht», sagt Jürg Manser, Leiter der Kantonsarchäologie in Luzern. «Ohne die Dokumentation der vorgefundenen Schichten sind die Funde für die Forschung nicht viel wert.»

Doch Sennhauser möchte die Dokumentationen in Zurzach behalten, weil sie ein für die Forschungsgeschichte interessantes Ensemble bilden: «Es wäre schade, dieses Ensemble auseinanderzureissen und in die Kantone zu verteilen.» Wäre eine pragmatische Lösung in dieser Situation nicht die Digitalisierung der Dokumentationen?

«Da es um oft grossformatige Pläne geht, müssten grosse Summen aufgewendet werden, um sie zu digitalisieren», sagt Manser. «Ausserdem sind wir der Meinung, dass diese Zeichnungen, Fotografien etc. Originalquellen sind und wie Urkunden im Staatsarchiv eingelagert werden müssen.»

13 Kantone sind in den Fall involviert

Der jahrzehntealte Konflikt um die Dokumentationen eskalierte, als Sennhauser 2009 sämtliche Materialien in eine Stiftung überführte. Denn bis dahin hofften die Kantonsarchäologen, sagt Manser, dass die Dokumentationen eines Tages ohnehin ins Eigentum der Kantone gelangen. Doch nun gehören sie der Stiftung, über die Lebenszeit von Sennhauser hinaus.

Dies nahmen einige Kantone zum Anlass, eine Taskforce ins Leben zu rufen, um die Dokumentationen wenn nötig vor Gericht zu erstreiten. Die Prozesse von Luzern und St. Gallen sind derzeit noch sistiert – in der Hoffnung auf eine aussergerichtliche Einigung. Insgesamt sind 13 Kantone in den Streitfall involviert, es geht um 57 Ausgrabungen.

Dünnhäutigkeit auf beiden Seiten

Wie konnten sich die Fronten so verhärten zwischen zwei Parteien, die beide an der Erhaltung und Aufarbeitung von historischen Zeugnissen interessiert sind? Klar ist, dass sich die staatlichen Strukturen und Zuständigkeiten im Bereich der Mittelalter-Archäologie in den vergangenen 60 Jahren stark gewandelt haben.

Nun stehen die heutigen Kantonsarchäologen dem früheren Bundesexperten gegenüber, der die Kirchengrabungen damals oft gegen Widerstände der kantonalen Behörden durchboxen musste, wie Sennhauser erzählt. Es scheint, als ob die Dünnhäutigkeit und das gestörte Vertrauen in diesem Zwist auch damit zu tun haben.

«Es geht nicht um das Lebenswerk»

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Geht es dem anerkannten Kirchenarchäologen heute um den Erhalt seines Lebenswerks? «Nein», sagt Sennhauser, es gehe um die Sache: Der Zweck seiner Stiftung bestehe in der Forschung, und die sei zur Zeit am besten in Zurzach möglich; die Räumlichkeiten stehen allen Interessierten offen. Es gibt Zettelkästen und Arbeitsplätze mit Computern, in den Regalen stehen meterweise Mappen und Ordner, alles säuberlich beschriftet und sortiert.

Die Fach-Bibliothek füllt das ganze Untergeschoss und wuchert in sämtliche Räume hinein. Tatsächlich sieht es im Inneren des Riegelhauses aus wie in einem in die Jahre gekommenen historischen Institut. Doch die Angliederung der Sammlung an eine Universität, die sich Hans Rudolf Sennhauser gewünscht hätte, ist in den 70er- Jahren gescheitert.

Zukunft ungewiss

Noch wird hier mit Leib und Seele gearbeitet, das ist an allen Ecken zu spüren, doch die Mitarbeiter sind alle längst im Pensionsalter. Ob sich in Zukunft Historiker finden werden, die so viel ehrenamtliche Arbeit investieren, wie das die heutigen Mitarbeiter von Sennhauser tun, ist ungewiss.

Bleibt zu hoffen, dass sich bald eine einvernehmliche Lösung findet, damit nicht noch mehr Zeit, Geld und Nerven in Gerichtsprozesse fliessen, anstatt in die Erforschung von Kulturgütern, die – in diesem Punkt sind sich alle Parteien einig – von nationaler Bedeutung sind.

Sendehinweis: Radio SRF2 Kultur, Kultur aktuell am 24.2.2017 um 16:50 Uhr

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