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Das Klischee der kleinkarierten Deutschschweizer
Aus Kultur Extras vom 18.07.2013.
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Landesteile Vorurteile Die soliden Deutschschweizer

Wir gelten als fleissige Saubermänner, die nicht geniessen können. Dabei ermöglichen wir den Bon-Vivants doch erst das gute Leben: Wir sind es, die das Sparsäuli mit harten Franken füttern. Es stimmt, wir haben gegen längere Ferien gestimmt, aber wir geniessen unser Feierabendbier in vollen Zügen.

Für die Rätoromanen sind wir die «Unterlender», eine entfernt verwandte Rasse, die vor Urzeiten einen futuristischen Evolutionsweg eingeschlagen haben muss. Für die Tessiner sind wir schlicht «i züchín», langweiliges Gemüse, für die Romands sind wir gleich ein ganzes Kuriositätenkabinett: «les schtobirn, schbunz, bourbines», «les têtes carrées» , die Quadratschädel, oder «les suisses totos», die Teutonenschweizer. Letzteres ist geradezu gemein, definieren wir uns selbst doch primär durch entschiedene Abgrenzung von den Teutonen!

Eine Beziehung voller Missverständnisse

Ja, wir Deutschschweizer: solide, verlässlich, nüchtern, fleissig. Darauf gründet unser Selbstbewusstsein, darauf sind wir stolz. Dafür werden wir respektiert - und hinterrücks verspottet. Kein Stil, kein Esprit, keine Eleganz, keine Lebensfreude, heisst es. Wir gelten als kleinkariert, humorlos und borniert.

Dabei ist es nur unserer Umsicht zu verdanken, dass die Schweiz so gut dasteht heute. Wär’s nach den lateinischen Landesteilen gegangen, wären wir längst in der EU und müssten den Teutonen mit unseren Milliarden helfen, all diese maroden Staatshaushalte und konkursiten Banken Europas über Wasser zu halten. So aber bunkern wir die Euros – unversteuert und natürlich gegen einige Gebühren - und füttern das eigene Sparsäuli weiter mit harten Franken.
So wird «gschaffet»! Suisses, Svizzeri, Svizzers: ihr solltet uns dankbar sein – oder etwa nicht?

Die Perfektionisten der Nation

Die Deutschschweiz ist die Werkbank der Schweiz, hier wird am meisten gearbeitet. Sollen wir über mehr Ferien abstimmen, dann sind wir dagegen. «Ils sont fous, les totos», hören wir die Romands klagen. Finden wir nicht: 42 Prozent von uns sind mit ihrem Leben sehr zufrieden, mehr als die Bewohner der anderen Landesteile. Dazu passt, dass wir landesweit die niedrigste Scheidungsrate vermelden. Und das – liebe compatriotes - nicht nur, weil Scheidungen etwas kosten.

Pedantische Saubermänner, so sehen uns die Miteidgenossen. Tatsächlich, wir Deutschschweizer haben den Gebühren-Abfallsack praktisch erfunden und sind Vorreiter in Sachen Umweltbewusstsein. Aber nicht nur dort: Wir kaufen auch mehr Bioprodukte und betreiben deutlich mehr Intensivsport als der Rest der Schweiz. Klar sind wir die gesündesten Schweizer im Landesvergleich. Wir trinken zwar am meisten Bier, aber eben auch am meisten Milch, und das könnte der Grund sein, weshalb wir - laut Pisa-Studien – schon in der Schule die Besten sind, besonders in Mathematik und Naturwissenschaften.

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen

Wir Bünzlis wüssten das Leben nicht zu geniessen, heisst es. Wir sind für höhere Parkgebühren, stimmen für höhere Bussen, wollen am liebsten einen Führerschein mit Malussystem – «sono pazzi, i züchín»! Könnte man so sehen, liebe Tessiner, aber Fakt ist: In puncto Verkehrssicherheit schneiden wir Deutschschweizer am besten ab. Vielleicht, weil wir ohnehin am häufigsten mit dem ÖV fahren.
Ist auch praktischer, da kann man das erste Feierabendbierchen schon auf dem Heimweg kippen. Denn, cari svizzeri, wir wissen sehr wohl zu feiern und fröhlich zu sein. Allein die Stadt Zürich vergibt jedes Jahr mehr als 500 Bewilligungen für allerlei Volksvergnügungen der feuchten Art, vom Sechseläuten bis zur Streetparade.

Gut, dass ihr uns die Bon-vivants nicht anseht – das Image der soliden Saubermänner ist uns lieber – oder etwa nicht?

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