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Kunst Auf der Suche nach der unverbrauchten Kunst

Um 1900 suchte man nach der reinen Kunst, frei von akademischen Zwängen, dem Druck des Kunstmarkts, Moden, Trends. Die rohe, unverbildete Kunst fand man bei Naturvölkern, in Psychiatrien und Kinderzeichnungen – und nannte sie Art brut. Heute löst sich dieser Begriff langsam auf.

Grelle Farben, ein kräftiger Pinselstrich, figürliche Malerei – so liessen sich die Bilder von Pedro Gonzalez beschreiben. Doch es geht auch anders, abstrakter: geometrische Figuren in Grautönen, einige Farbtupfer, wenige bunte Flächen. Die Bilder von Markus Buchser erinnern entfernt an den Blick aus dem Flugzeugfenster: schachbrettartige Felder, ein gelber Strand, die blaue See. Die Werke von Pedro Gonzalez und Markus Buchser sind in der Kreativwerkstatt des Bürgerspitals Basel entstanden. Jetzt sind sie im Forum Würth in Chur in der Ausstellung «Nasen riechen Tulpen» zu sehen.

Was ist «Outsiderkunst» und was nicht?

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Carmen Würth betrachtet Kunst am liebsten mit ihrem Sohn.
Aus Kulturplatz vom 26.02.2014.
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Zwischen den Werken von Gonzalez, Buchser und anderen Vertretern der sogenannten Outsiderkunst oder Art brut hängen Werke von Joan Miró, Peter Ponkraz oder Arnulf Rainer – allesamt arrivierte Künstler. Doch wann zählt ein Werk zur Outsiderkunst und wann zur arrivierten Kunst? Wer bestimmt das? Der Markt, der Sammler, der Künstler selbst? Und würden wir allein am Bild erkennen, wer zur einen Gruppe zählt und wer zur anderen? Wozu brauchen wir überhaupt diese Unterscheidung?

Alle Werke in der Ausstellung «Nasen riechen Tulpen» gehören zur Sammlung Würth. Mit rund 16‘000 Werken ist sie eine der grössten und bedeutendsten Kunstsammlungen Europas. Das gesteigerte Interesse des Sammlerehepaares an der Kunst besonderer Menschen liegt auch daran, dass Reinhold und Carmen Würth einen behinderten Sohn haben. Wenn Carmen Würth sich Kunst anschaut, lässt sie sich am liebsten von ihrem Sohn begleiten.

Die Suche nach der reinen Kunst

Ausstellungshinweis

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«Nasen riechen Tulpen», Forum Würth, Chur, bis 21. November 2014

So schwer wir uns heute auch tun mit Begriffen wie «Art brut» – in der Kunstgeschichte markiert sie einen Meilenstein auf dem Weg zu Moderne. Schliesslich ging es um nicht weniger als die Frage: Was ist Kunst? Genauer: Was ist das Wesen der Kunst, der Kern, der übrig bleibt, wenn wir alles Unnötige weglassen – alle Trends und Moden, den Druck des Kunstmarktes, die akademische Vorbildung mit ihren Normen. Gibt es überhaupt so eine Kunst, und wenn ja, wo finden wir diese?

Wände mit Bildern in der Ausstellung, in der Raummitte eine weisse Skulptur.
Legende: Die Ausstellung «Nasen riechen Tulpen» vereint «Outsiderkunst» und berühmte Kunstwerke. Sammlung Würth

Das waren Fragen, mit denen sich Künstler um 1900 herumschlugen. Und sie fanden Antworten. Pablo Picasso, George Braque und Max Ernst fanden die unverbildete Kunst in den Artefakten der Naturvölker Afrikas und Ozeaniens, in ihren Masken, Schilden und Totems. Paul Klee entdeckte die reine Kunst in den Zeichnungen von Kindern und Jean Dubuffet in den Arbeiten von Geisteskranken.

Es war Jean Dubuffet, der den Begriff «Art brut» erfand, die unverbildete, rohe Kunst, die für ihn auch immer die reine Kunst war und Vorbild für das eigene Schaffen. Was für eine Umwertung! Was vorher noch als sinnloses Gekritzel galt, war nun geadelt als reine Kunst!

Die Abschaffung der Art brut

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Kunsthistoriker Stephan Kunz über den offenen Kunstbegriff
Aus Kulturplatz vom 26.02.2014.
abspielen. Laufzeit 21 Sekunden.

Doch was genau versammeln wir unter Art brut? Der Begriff suggeriert einen einheitlichen Stil, ähnlich wie Art déco oder Art abstrait. Doch es gibt keine stilistischen Gemeinsamkeiten in der Art brut, sie umfasst auch keinen abgesteckten geographischen Raum, keine klar definierte Zeitspanne. Ähnliche Begriffe wie «Outsiderkunst» oder «Aussenseiterkunst» bergen dieselben Schwierigkeiten.

Gerade eine so kleine Ausstellung wie «Nasen riechen Tulpen» lädt den Besucher zu einem Experiment ein: Er sollte zweimal durch die Ausstellung gehen. Beim ersten Mal schaut er nicht auf die Schilder, sondern lässt sich einfach von den Bildern leiten. Beim zweiten Mal geht er erst zu seinen Lieblingsbildern, schaut, wer sie gemalt hat und sucht dann nach den grossen Namen wie Corneille und Joan Miró, Peter Pongratz und Arnulf Rainer. Manch einer wird sein blaues Wunder erleben, vielleicht auch sein gelbes, rotes oder schraffiertes.

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