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Bilder aus Krisengebieten Der Schweizer Fotograf Dominic Nahr lebt im Rausch der Realität

Aufgewachsen in Hongkong, lebt in Nairobi: Dominic Nahr gehört zu den aufregendsten Fotojournalisten der Schweiz. Der 33-Jährige dokumentiert den Schrecken der Welt.

Ein riesiger Berg aus Kleidern – mehr ist nicht zu sehen auf dem Foto, das die Ausstellung von Dominic Nahr eröffnet in der Fotostiftung Schweiz. Nahr hat das Bild in einer Gedenkstätte für die Opfer des Genozids in Ruanda aufgenommen.

Beim Betrachten beschleicht einen die böse Vorahnung, dass hinter dem Offensichtlichen noch viel mehr steckt, als man im ersten Moment zu meinen glaubt.

Badeszene im Südsudan.
Legende: Scheinbare Normalität im Südsudan, 2015: Dominic Nahr fotografiert die «blind spots» der Welt. Dominic Nahr / Fotostiftung Schweiz

Beklemmende Bilder

«Heute ist man froh, wenn man etwas direkt aus einem Bild herauslesen kann», sagt Dominic Nahr, «dann kann man sich das nächste anschauen. Deshalb wollte ich, dass diese Ausstellung mit einem Foto anfängt, das keine direkte Antworten gibt. Es soll Fragen aufwerfen und den Betrachter so tiefer ins Bild hineinziehen.»

Auch wenn das Bild die Gewalt nicht direkt zeigt, so ist sie doch beklemmend nah. Das müsse sie auch sein, sagt Dominic Nahr. Sonst wäre es, als existiere sie nicht.

Augen für die blinden Flecken

In je vier Räumen zeigt Dominic Nahr seine Fotoreportagen aus dem Südsudan, Somalia, Mali und der Demokratischen Republik Kongo. Es sind die «blind spots», also jene Länder, die es nur noch selten auf die Titelseiten der Zeitungen schaffen.

Ausstellungshinweis

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«Dominic Nahr – Blind Spots. Reportagen und Essays aus Afrika» ist bis zum 8. Oktober 2017 in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur zu sehen.

Obwohl der 33-Jährige im Appenzellerland geboren wurde, fühlt er sich in diesen Krisenregionen zu Hause. Er lebt seit acht Jahren dauerhaft in Nairobi. Von hier aus plant und organisiert er seine Reisen – mal in den Südsudan, dann in den Osten des Kongo.

Alles andere als ein Spaziergang, sagt Dominic Nahr: «Das Land hat fast keine Strassen. Du brauchst einen Helikopter oder ein Flugzeug. Das ist alles erst mal Logistik. Man braucht manchmal Tage, um endlich ein Foto zu schiessen.»

Die Büchse der Pandora

Auto fahren, tanken, einkaufen, sauberes Wasser trinken: Was für uns selbstverständlich ist, wird in Krisengebieten zur Herausforderung. Doch an diese Herausforderungen hat sich Dominic Nahr so sehr gewöhnt, dass er das Leben in der Schweiz als Kulturschock erlebt: Wenn er hier das Licht anknipst oder an einem Brunnen Wasser trinkt.

Ein Pferd hinter einer Betonmauer, auf die jemand ein Pferd gezeichnet hat.
Legende: Mali, 2016: Ein Pferd ist ein Pferd? Dominic Nahr sucht nicht immer die Eindeutigkeit. Dominic Nahr / Fotostiftung Schweiz

Trotz dieser Annehmlichkeiten will Nahr sein jetziges Leben nicht gegen ein anderes eintauschen. Er sei in Hongkong in einer Welt aufgewachsen, die von Konsum regiert wird.

Für eine Hongkonger Zeitung fotografierte er mit Anfang 20 tagelang gewaltsame Massenproteste. Seitdem sei diese Arbeit an der Realität für ihn «wie eine Art Rausch».

«Wenn man die Büchse der Pandora geöffnet hat, kann man sie nie wieder schliessen», glaubt Dominic Nahr. «Ich kann die komplexe Realität nicht mehr ausblenden und so tun, als existiere sie einfach nicht.»

Zeuge der Geschichte

Dominic Nahr sieht sich als Chronist. Als Zeuge einer Geschichte, die sich fortwährend neu schreibt. Es braucht heute technisch nur noch wenige Klicks, bis seine Fotos vom Schrecken dieser Welt die Nachrichtenredaktionen in London, New York oder Zürich erreichen. Aber es kann lange dauern, bis man die Bilder in ihrer ganzen Komplexität versteht. Die Ausstellung in Winterthur will dazu einen Beitrag leisten.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 18.05.2017, 17:08 Uhr

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