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Ein Museum für alle Ein Besuch in Londons neuer Design-Kathedrale

Industrieroboter, Totenmaske und Nomadenzelt unter einem Dach: Das Londoner Design-Museum zieht in ein schickes Quartier und gibt sich schon mit der ersten Ausstellung ambitioniert, politisch und offen.

Für Terence Conran geht ein Traum in Erfüllung. «Toll, dass ich das noch erleben darf!» sagt der 85-Jährige. Er ist der Gründer des Design-Museums in London. Diese feiert gerade die Neueröffnung im Stadtteil Kensington.

Vom Bananenlager zur Kathedrale

Seit 1989 war das Museum am Themseufer untergebracht: in einem ehemaligen Bananenlager nahe der Tower Bridge. Conran selbst hatte das Haus zum Galeriekomplex umgestalten lassen. Die letzte Pächterin war Stararchitektin Zaha Hadid.

Anfang der 1980er-Jahre hatte Conrans Sammlung ihr Domizil tief unter Londons damals einziger Schatzkammer für Kunsthandwerk: im Heizungskeller des Victoria & Albert Museum.

Jetzt folgt der Einzug in die seit Jahren verwaiste Zentrale des Commonwealth-Instituts an der Kensington High Street. Eine «Kathedrale für Design» nennt Conran den renovierten Bau.

Design geht jeden an

Das Gebäude, Baujahr 1962, steht unter Denkmalschutz und besticht durch die im spitzen Winkel zulaufenden Fensterfassaden. Und seine visionäre Dachkonstruktion: zwei lang gestreckte, aufgeklappte Paraboloiden, die aus der Vogelperspektive wie ein riesiger Mantarochen wirken.

Verantwortlich für die interne Neugestaltung des Baus, der rund 97 Millionen Euro gekostet hat, war das Architekturbüro OMA des Niederländers Rem Koolhaas.

Den Hauptakzent setzen das bis unters Dach ragende, eichenholzgetäfelte Atrium und die minimalistisch-nüchternen Treppen- und Wandelgänge. Sie rahmen die Eingangshalle.

Auf drei Etagen herrscht hier dezentes Understatement. Trotz seiner Dimensionen wirkt der Grossraum – von unten wie von oben und bei aller Coolness – nicht kalt oder distanziert, sondern warm, nah, intim. Besucher sollen spüren: Was hier geboten wird, geht jeden an.

Museum für Ideen, nicht Sachen

Auf seinen 10'000 Quadratmetern Fläche hat das Museum jetzt dreimal so viel Platz wie zuvor: für Ausstellungen, Seminare, Workshops und Filmvorführungen. Die oberen Etagen sind für die Präsentation der eigenen Sammlung vorgesehen. Sonderausstellungen laufen im Erdgeschoss. Das Ziel: rund 600’000 Besucher jährlich.

Allerdings wolle man kein Museum für Sachen sein, sondern eines für Ideen, betont Direktor Deyan Sudjic: «Uns geht es weniger um Exponate als um das Nachdenken über Design. Dazu wollen wir anregen. Die Themen Architektur und Design sind zu wichtig, um sie den Experten zu überlassen. Wie wir dabei vorgehen, ist eine Frage der Kommunikation. Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht der Austausch mit dem internationalen Publikum.»

Der Tate-Modern-Effekt

Vorgesehen sei der Ausbau des Museums zum Kraftwerk mit globaler Reichweite. Vorbild ist die Tate Modern. «Was die Tate für die Gegenwartskunst getan hat, wollen wir in Sachen Design erreichen. Unser Haus muss eine Drehscheibe werden, die mitten in der Gesellschaft operiert und so Präsenz und Relevanz demonstriert», erklärt Sudjic.

Auftakt zum Langzeitprojekt ist die Sonderschau «Fear and Love: Reactions to a Complex World». Internationale Designerinnen und Designer behandeln dafür das Spannungsfeld zwischen den vermeintlich harmlosen Segnungen technologischer Innovation und deren Risiken.

Zu sehen sind ein Industrieroboter hinter Glas, der seine Betrachter nicht aus dem Auge lässt, Totenmasken als modische Accessoires aus dem 3D-Drucker und eine Jurte aus Ulan Bator – als Warnung vor dem Verlust des Lebensstils mongolischer Nomaden.

Design kontra Brexit

Das Koolhaas-Team beteiligt sich an der Ausstellung mit einem paneuropäischen Wohnzimmer, dessen 28 Einrichtungsgegenstände allesamt aus der Europäischen Union stammen. Nur Grossbritannien ist ausgeschert.

In einer aus den Flaggen der EU-Mitgliedsstaaten gefertigten Stoffjalousie fehlt der Union Jack – er liegt abgetrennt am Boden. Hinter der Jalousie läuft ein Video des im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Luftwaffe zerstörten Rotterdam. Die Installation signalisiert: Brexit hin oder her, Design kennt keine Grenzen.

So sehen es auch der Gründervater des Museums und dessen Leiter. Sie sagen: «Britannien ist offen, London ist offen, wir sind offen – für Ideen und die Welt da draussen.»

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 24.11.2016, 16:50 Uhr.

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