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Literatur Dandy, Haudegen, Melancholiker: Fritz J. Raddatz ist tot

Mit Fritz J. Raddatz ist einer der brillantesten Feuilletonisten der Gegenwart gestorben. Als Lektor bei Rowohlt entdeckte er in den 1960er Jahren Autoren wie Hubert Fichte, Rolf Hochhuth und Elfriede Jelinek. Als Feuilleton-Chef der «Zeit» wurde er in den 1970er Jahren zum Star-Kritiker.

Als alter Mann ähnelte er Sigmund Freud: der akkurat gepflegte schlohweisse Bart, der kritische Blick durch die Hornbrille, die Haltung im Anzug aus feinstem Tuch. Dazu kam ein Jaguar und eine schier unermessliche Anzahl von Liebhabern (cirka 1000 sollen es gewesen sein). Plus die Eitelkeiten des Kulturbetriebs, dessen König Fritz J. Raddatz so lange war, bis er vom Thron gestossen wurde, und sei es auch nur durch die Zeit.

Der Schriftsteller und Literaturkritiker Fritz J. Raddatz wurde 1931 in Berlin geboren. Dass seine Kindheit und Jugend geprägt war von sexuellem Missbrauch und harten Erziehungsmethoden, legte er 2003 in seinen autobiografischen Erinnerungen «Unruhestifter» dar und löste damit eine heftige Kontroverse aus.

Kometenhafter Aufstieg...

Er studierte Geschichte, Germanistik, Theaterwissenschaften, Kunstgeschichte und Amerikanistik an der Humboldt-Universität in Berlin und habilitierte bei Hans Mayer in Hannover. Bis 1958 war er Leiter der Auslandabteilung und stellvertretender Cheflektor beim Verlag Volk und Welt in Ostberlin.

Dann folgte der erste grosse Schritt auf der Karriereleiter: Nach einer Station beim Kindler Verlag wurde Fritz J. Raddatz zum Vizechef beim Rowohlt Verlag. Er entdeckte Autoren wie Hubert Fichte, Rolf Hochhuth, Walter Kempowski und Elfriede Jelinek, zählte Günther Grass, Inge Feltrinelli, Helmut Schmidt und Susan Sonntag zu seinen Freunden.

...und Fall

Champagner, Austern, Jaguar, im Bett mit Nurejew, Wohnsitze in Hamburg, Nizza und auf Sylt – Fritz J. Raddatz feierte das Leben. Auch, nachdem er sich mit dem Rowohlt Verlag verkracht hatte. Er wurde Feuilleton-Chef der «Zeit» und prägte die kulturellen Debatten der 1970er und 1980er Jahre nachhaltig.

Dann jedoch stolperte er über sich selbst, über seine Eitelkeit, sein schnelles Schreiben, sein Selbstbild als «Unruhestifter». Nicht zum ersten Mal, sondern schon fast notorisch zitierte er in einem Artikel falsch. Es war eine Glosse zur Frankfurter Buchmesse 1985, die ihre Kreise zog. Unter anderem mischte sich Konkurrent Marcel Reich Ranicki von der «FAZ» ein – Fritz J. Raddatz musste seinen Posten als Feuilleton-Chef abgeben.

Ein deutscher Truman Capote

Ein anderer Konkurrent, Hellmuth Karasek, schrieb in einem Artikel, Raddatz habe «eigentlich das Zeug zu einem deutschen Truman Capote» gehabt, wäre er nicht so eitel und so narzisstisch gewesen. Karasek bezieht sich dabei auf Raddatz‘ Tagebücher der Jahre 1982-2012, die für viel Wirbel sorgten, weil sie vor Abrechnungen und Klatsch nur so triefen.

Gleichzeitig zeigen diese Tagebücher auch den glänzenden Stilisten Raddatz. Und einen Mann, der trotz seines Ruhms vieles zu beklagen hat – etwa die Schwierigkeit, selbst in Kulturkreisen, homosexuell zu sein. Oder die Pein von Alter und Krankheit. Oder die Melancholie: «Massanzüge – und lebenstraurig: Das KANN und darf nicht zusammenpassen», schreibt er. Nicht zuletzt sind diese Tagebücher ein Zeitzeugnis jener Jahre, als die Kultur noch glamourös war.

Das Video mit Fritz J. Raddatz erschien ursprünglich bei 3sat.de, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen.

Buchhinweis:

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  • «Stahlstiche. 33 Einreden aus 35 Jahren». Rowohlt, 2013.
  • «Tagebücher 1982–2001». Rowohlt, 2010.
  • «Tagebücher 2002–2012». Rowohlt, 2014.

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