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200 Jahre Thoreau Der Unruhestifter, der die Ruhe suchte

Wie aktuell ist Henry David Thoreau 200 Jahre nach seiner Geburt? Thoreau-Kenner Frank Schäfer über den Dichter und Denker, den auch Trumpisten gerne zitieren.

SRF: Was war Henry David Thoreau für ein Mensch?

Henry David Thoreau

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Geboren am 12. Juli 1817. Sein wichtigstes Werk ist «Walden» (1854) – eine Bibel für Zivilisationsmüde, Naturschützer oder 68er. Thoreaus Essay «Über die Pflicht zum Ungehorsam gegenüber dem Staat» (1849) gehört zum Kanon der politischen Protest-Literatur.

Frank Schäfer: Er war ein Mensch mit moralischen Prinzipien. Kein einfacher Typ. Auf der einen Seite misanthropisch, auf der anderen Seite auch gesellig und fürsorglich. Aber vor allem war er darauf bedacht, immer wieder mal für sich zu sein.

Was waren seine grössten Stärken?

Zuallererst war er ein grosser Literat, der einen entschädigt für die Mühe der Lektüre von 150-jährigen Büchern. Er hat einen reichen, rhetorisch raffinierten, enorm zupackenden Stil und einen subtilen, mitunter wortspielerischen Witz.

Thoreau war ein Freigeist und Rebell, dessen Werk immer wieder Unruhe stiftete. Auch heute wird er zum Beispiel von Trump-Anhängern gerne zitiert.

Ich glaube zwar nicht, dass Trump ihn gelesen hat (lacht). Trumpisten verehren Thoreau, weil dieser den unbedingten Individualismus propagiert. Staat und Institutionen gehen ihn nichts an.

Aber auch die Occupy-Bewegung beruft sich auf Thoreau, weil sie in seiner Schrift «Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat» eine Anleitung findet, wie man passiven Widerstand ausübt. Ich glaube, dass dies Thoreau eher entspricht. Die Trump-Anhänger reduzieren ihn auf den blossen Individualismus.

Zur Person

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Legende: Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag

Frank Schäfer (*1966) deutscher Schriftsteller. Er schreibt u. a. für den Rolling Stone, die taz, Neuen Zürcher Zeitung und Titanic – meistens über Literatur und Popkultur. Neben Romanen und Erzählungen erschienen diverse Essaysammlungen und Sachbücher von ihm.

Thoreau hat sich für zwei Jahre in eine einfache Hütte in den Wald zurückgezogen. Er war aber kein romantischer Naturfreund. Es ging ihm um ein philosophisches Experiment. Mit welchen Erkenntnissen hat er diesen Selbstversuch abgeschlossen?

Er hat an sich selbst etwas festgestellt, was wir heute auch kennen: Dass die Zeit für das eigentliche Leben fehlt, für seine wahre Bestimmung. Das ist für Thoreau Kontemplation. Er hat sich nicht zurückgezogen, weil er aus der Gesellschaft aussteigen wollte. Er wollte mehr Zeit für sich haben.

Das wurde möglich, weil er seine Bedürfnisse reduziert und materielle Askese gelebt hat. Er hat die Kosten des Lebensunterhalts niedrig gehalten und musste so wenig Zeit für den Broterwerb aufwenden. So hatte er Zeit zum Philosophieren und zum Schreiben.

Thoreaus Philosophie ist wieder aktuell, wenn mal an all die «simplify your life»-Ratgeber denkt. Welche Anregungen gibt Thoreau uns Menschen heute?

Sich beschränken auf das Wesentliche. Sich auf Sachen konzentrieren, die wirklich wertvoll sind. Unterhaltungslektüre mal beiseite zu lassen und an die wirklichen Texte zu gehen. Da kann Thoreau schon den einen oder anderen Tipp geben.

Haben Sie in seinem Werk auch Widersprüche entdeckt?

Mehr erfahren

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  • Frank Schäfer: Henry David Thoreau. Waldgänger und Rebell. Suhrkamp, 2017. (Buch)
  • Henry D. Thoreau: Tagebuch I und Tagebuch II. Matthes & Seitz, 2017. (Buch)
  • Henry David Thoreau: Wo und wofür ich lebte. Gelesen von Burghart Klaussner. Diogenes, 2012. (Hörbuch)

Ja, ständig. Etwas, das mir immer wieder auffällt: Einerseits kritisiert er, dass die Zivilisation sich immer weiter von der Natur und von Gott entfernt. Und auf der anderen Seite verabscheut er das Körperliche, jegliche Art von Sexualität.

Er sagt einzig, der Körper müsse gestählt werden. Weil er das Instrument ist, um in die Natur zu gehen, um die Natur mit allen Sinnen zu erfassen. Aber das Wilde des Körpers, die Wollust negiert er. Das ist offenbar die alte puritanische Schule, die er nicht so leicht vergessen konnte.

Warum ist Thoreaus Werk auch 150 Jahre später noch Pflichtlektüre der Amerikaner?

Zum einen ist es sicherlich diese «Selfmade-Man» Attitüde, den Pionier-Geist in Reinkultur, den er formulierte. Oder die Meinung, dass das souveräne Individuum keine staatlichen Organe und Institutionen braucht. Das entspricht dem Ideal der US-Gesellschaft. Und schliesslich ist er auch der erste US-amerikanische Literat von Weltrang.

Das Gespräch führte Susanne Sturzenegger.

Sendung: Radio SRF 1, BuchZeichen, 16.07.2017, 14:06 Uhr

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