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Buch «Kritik der Vögel» Die armen Tauben: Vom Friedenssymbol zur Stadtplage Nummer Eins

Satire, Philosophie, Gesellschaftskritik: All das steckt in Jürgen und Thomas Roths Buch «Kritik der Vögel». In erster Linie aber ist es eine Liebeserklärung an das gefiederte Volk.

Tiere lassen sich nicht vereinnahmen von Ideologien und Mythen, von Macht oder Werbung. Das sagen die Brüder Jürgen und Thomas Roth, wenn man sie nach ihrer Faszination für Vögel fragt: Sie sind unverfügbar.

Da kann ein Adler noch so stolz, ein Kranich noch so schön sein. Adler ist Adler und Kranich ist Kranich. Damit hat sich’s.

Pinguine, die übersexualisierten Perverslinge

Aber so einfach ist es nicht. Denn Jürgen und Thomas Roth, promovierter Philosoph und satirischer Schriftsteller der eine, Historiker der andere, tun genau das, was sie kritisieren – wenn auch nur zum Schein. Sie vermenschlichen die Vögel und nehmen ihnen damit scheinbar ihr Vogelsein weg.

Sie beschreiben das Rotkehlchen als süss. Nennen Möwen Piraten und Kannibalen. Outen Pinguine als übersexualisierte Perverslinge. Und beschreiben den Absturz der Tauben vom Friedens- und Liebessymbol zum Städte-verkackenden Opportunisten. «Klare Urteile über Kleiber, Adler, Spatz und Specht», wie das Buch im Untertitel heisst.

Zitate von Zoologen und Kneipenkollegen

Diese Vermenschlichung ist lustig. Und ausserordentlich gekonnt. Denn die beiden Brüder haben ein enormes Wissen über Vögel und zeigen es auch.

Sie orientieren sich sprachlich, inhaltlich und methodisch an den Grossen der Zunft, an den Gelehrten des 19. Jahrhunderts. Am Ornithologen Johann Friedrich Naumann und am Zoologen Alfred Brehm. Diese beiden zitieren sie bei jeder Gelegenheit.

Dass die Brüder neben den beiden Giganten auch allerlei Journalistinnen und Tierfilmautoren, Trivialwissenschaftlerinnen und Kneipenkollegen wiedergeben, unterstützt wiederum ihre satirische Distanznahme.

Jürgen & Thomas Roth

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Jürgen Roth, geboren 1968, ist Satiriker, Schriftsteller und Journalist. Er lebt in Frankfurt am Main. Sein Bruder Thomas Roth, geboren 1971, lebt als Historiker im Rheinland.

Genauso wie dies mit den Illustrationen von F.W. Bernstein gelingt, dem Grossmeister der Neuen Frankfurter Schule.

Auf den Spuren von Karl Marx

Bei aller Irritation, die dieses Buch auslösen kann und will – albern ist es nie. Im Gegenteil. Es ist informativ und klug geschrieben. Und im Gegensatz zu vielen anderen Vogelbüchern, mit denen die Verlage derzeit den Markt überschwemmen, ist es ausserordentlich engagiert.

F.W. Bernstein

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Legende: Keystone

F.W. Bernstein ist das Pseudonym des 1938 geborenen Fritz Weigle. Er ist ein deutscher Lyriker, Grafiker, Karikaturist und Satiriker.

Nicht zufällig erinnert der Titel «Kritik der Vögel» an Karl Marx. Heisst doch dessen Werk «Das Kapital» im Untertitel «Kritik der politischen Ökonomie». Vor allem Jürgen Roths Texte sind beseelt vom Gedanken, dass es letztlich ökonomische Bedingungen brauche, die den Vogel überleben lassen.

Kritik am Kapitalismus

Es gehe darum, den Kapitalismus in Frage zu stellen. Und so wird am Schluss des Buches nicht nur der Abgesang auf den Dodo und andere ausgestorbene Vogelarten gesungen. Sondern mit einem Zitat von Karl Liebknecht auch die Solidarität mit der Natur eingefordert.

Eine Solidarität, die eben nur der Sozialismus möglich mache, wie Karl Liebknecht glaubte. «Kritik der politischen Ornithologie» könnte man also sagen. Oder «Kritik der ornithologischen Politik».

Keine politische Propaganda

Buchhinweis

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Jürgen und Thomas Roth: «Kritik der Vögel – Klare Urteile über Kleiber, Adler, Spatz und Specht», mit Illustrationen von F.W. Bernstein. Blumenbar im Aufbau Verlag, 2017.

Trotz alledem: ein politisches Pamphlet ist dieses Buch nicht. Wichtiger ist die Poesie, die Literatur, das Abschweifen und Erzählen. Das führt beim Leser zur Selbstreflektion. Zum Nachdenken über unseren Umgang mit dem gefiederten Volk.

Fragt man die Brüder Jürgen und Thomas Roth nach ihren eigenen Erfahrungen mit Vögeln, so sprechen sie nicht von Marx und Engels, Naumann und Brehm. Sondern von Erlebnissen aus ihrer Jugend in Franken, als sie tagelang auf der Lauer lagen, um Greifvögel zu sehen.

Und die Brüder erzählen von einer Situation neulich in Frankfurt. Auf dem Heimweg von einer Kneipe hörten sie plötzlich zwei Nachtigallen singen.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext: Künste im Gespräch, 10.08.2017

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