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Literatur Ehrgeiz und Glamour: Susan Sontags Tagebücher 1964 - 1980

Vor allem als Essayistin war sie die Starautorin ihrer Zeit. Jetzt ist der zweite Band ihrer Tagebücher erschienen. Er enthält die Jahre 1964 bis 1980. Es sind die Jahre ihrer grössten Bucherfolge. Die Tagebücher geben ein neues Bild der Susan Sontag.

Listen über Listen, Tabellen, Aufzählungen, Stichworte: so geht es los, 1964, in dem Jahr, in dem der Essay «Anmerkungen zu Camp» Susan Sontag plötzlich berühmt macht. Sie ist einunddreissig, als der zweite Band ihrer Tagebücher beginnt. Und sie ist ziemlich oft auf Speed.

Susan Sontag, die amerikanische Ostküsten-Intellektuelle mit dem mondänen Touch, sammelt und notiert, was ihr in den Kopf kommt. Manisch. Listen über Verben und Adjektive sind da, über Filme und Bücher, über britische Pop-Musik und amerikanische Künstler. Auch das kindlich naive Spiel des «mag ich/mag ich nicht» wird sorgsam gelistet: «Was ich mag: Rolltreppen, Elfenbein, Listen aufsetzen. Was ich nicht mag: Fernsehen, Baked Beans, haarige Männer, duschen.»

Erziehungsprogramme

Buchhinweis

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Susan Sontag: «Ich schreibe, um herauszufinden, was ich denke. Tagebücher 1964-1980». Übersetzt aus dem Englischen von Kathrin Razum, Hanser Verlag, 2013.

Wozu das? Sontags Aufzählungen sind fast Beschwörungen. Eine Art magischen Denkens, ihre Art von Magie. Ein verdeckter Zwang, Ordnungsmuster gegen das Vergessen. So etwas muss im Spiel sein, wenn sie die Dinge des Lebens vor sich aufbaut, wie in einem präzise geklebten Architekturmodell: Das weiss ich noch nicht, aber das will ich wissen! Das bin ich noch nicht, aber das will ich sein! Dies muss ich lesen, das muss ich tun. Aufstehen um Acht, Lektüre am Abend, Briefe nur freitags. «Weniger lächeln», «mehr wie Arendt» sein, wie die Philosophin Hannah Arendt. Essays schreiben wie Cioran, Tagebuch wie Lichtenberg. «Ungewöhnlicher werden, exzentrischer. Mein Verstand ist nicht scharf genug, nicht wirklich herausragend. Ich bin nicht besessen genug.»

Das sind Erziehungsprogramme in eigener Sache. Sie durchziehen Susan Sontags Aufzeichnungen aus hunderten schwarzer Notizhefte der Jahre 1964 bis 1980. Es wimmelt darin von selbst gesetzten Imperativen und einer überaus zähen Arbeit am intellektuellen Aussenbild. Sympathisch ist das sicher nicht, aber es berührt in seiner Überanstrengung und dem Eindruck grosser innerer Einsamkeit.

«Ich will alles»

Korrigiert wird das öffentliche Passepartout der Susan Sontag: Hinter dem Bild der Feministin, politischen Aktivistin, der glänzenden Autorin steht ein angegriffener Charakter, schwankend zwischen Selbstzweifel und Grössenwahn. «Ich will alles. Ich weiss, was ich kann», das ist die Ansage mit kaum 20. Auch sie steht in den Tagebüchern, im ersten Band, erschienen 2010 – das ist in den Aufzeichnungen nach 1964 vorbei. Die Gewissheit ist weg, einfach weg.

Trotzdem, Susan Sontags grösste Bucherfolge fallen in diese Zeit, die Essays «Against Interpretation», ihr Buch über Photographie und «Krankheit als Metapher». Sie ist schon eine öffentliche Figur, der intellektuelle Star in den USA und Europa, der sie immer sein wollte, als 1974 ihre Krebserkrankung ausbricht. In den Tagebüchern wird die Krankheit erst zwei Jahre später ausdrücklich erwähnt. Da ist Sontag schon in einer langen, harten Chemotherapie.

Beziehungsmuster

Sontag lebt zwischen Paris und New York. Den Photographen Richard Avedon trifft sie zum Dinner, Jean-Luc Godard bei Dreharbeiten, Peter Brook beim Theater-Workshop. Erfolgreich inszeniert sie nach wie vor ihre öffentlichen Auftritte und ihren Körper. Ihr Privatleben, ihre Beziehungen vor allem zu Frauen, bleiben über die Jahre ein Desaster.

Es beginnt mit Irene, der Off-Broadway Dramatikerin Maria Irene Fornes und einer quälend langen Ära der Zurückweisungen. Sontag ist die Zurückgewiesene. Sie bleibt in dieser Rolle, auch bei der italienischen Adeligen Carlotta del Pezzo und der französischen Schauspielerin und Regisseurin Nicole Stéphan, geborene Baronesse de Rothschild. Ihre letzte Gefährtin ist Annie Leibovitz. In eine Liste mit sieben «Eigenschaften, die mich antörnen», rangiert auf Platz vier: «Glamour, Prominenz».

Macht und Glamour

«Ich habe Angst vor meiner Mutter – Angst vor ihrer Härte, ihrer Kälte», schreibt Susan Sontag in der Zeit ihrer Psychoanalyse, in den Sitzungen mit der Analytikerin Diana Kemeny. Susan Sontag, eigentlich Susan Rosenblatt, 1933 in China geboren, ist die Tochter von Mildred Rosenblatt, einer Trinkerin mit depressiven Schüben. Ihr Vater starb als sie fünf war. Aufgewachsen ist sie bei Mutter und Stiefvater.

Als «bewusste Selbstzerstörung» wertet sie die Ehe mit dem Soziologen Philip Rieff. Da ist sie 19. Überlegen will sie sein, wenn sie sich unterlegen fühlt. Bildung, ebenso uferlos wie ostentativ, ist das Gegenmittel. Ein Machtinstrument, besser sein als andere, Perfektion bis zur Leblosigkeit. Darum geht es.

Wenig über die eigenen Werke

Kaum die Rede ist von Sontags eigenen Werken in diesen Aufzeichnungen, ihrer Entstehung, ihrer Motive. Kaum Alltag. Kaum etwas über Politik und Engagement, mit Ausnahme der Reise nach Hanoi 1968. David Rieff, der Sohn aus Sontags kurzer Ehe, hat die Tagebücher herausgegeben. Sie sind im Besitz der University of California Los Angeles. Die ziemlich freihändige Edition ist auf drei Bände angelegt. Der letzte Band steht aus. Er enthält die Jahre bis 2004, bis zu Susan Sontags Tod. Sie stirbt an Leukämie.

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