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Feinsinniger Debutroman Eine durchgeknallte Familie zwischen Lebenslust und Wahnsinn

Die Eltern machen mit ihrem Sohn zusammen einen Blödsinn nach dem andern: Olivier Bourdeaut schreibt in seinem Debütroman über Lebenslust, die nah am Wahnsinn ist.

Eine Familie in Frankreich: Vater, Mutter, Kind. Tönt ganz normal. Aber dieses Trio ist schon etwas durchgeknallt. Das erfährt man vom kleinen Sohn, der in seiner naiv-kindlichen Sprache und frisch von der Leber weg erzählt, was da so alles abgeht bei ihm zuhause.

Ein Tag ist verrückter als der andere

Mit seiner ausgeflippten Mutter macht der Bub die wildesten Dinge: Manchmal verwüsten die beiden die halbe Wohnung, sie malen Wände an, lärmen und krümmen sich dann vor Lachen.

Er berichtet auch von der grossen Liebe und dem exzessiven Leben der Eltern. Beschreibt, wie sie eine Party nach der andern feiern und quasi durchs Leben tanzen. Auf der Kommode im Salon steht ein alter Plattenspieler, auf dem sich die immer gleiche Vinylscheibe mit dem immer gleichen Song dreht: «Mr. Bojangles» von Nina Simone.

«Sie tanzten völlig hemmungslos und rissen alles um, was ihnen im Weg war. Vater warf Maman in die Luft und fing sie nach einer Pirouette – manchmal nach zwei oder sogar drei – wieder auf. Er tauchte sie unter seinen Beinen hindurch, er wirbelte sie um sich herum. Und warf er sie aus Versehen zu weit, landete sie mit ihrem Allerwertesten auf dem Parkett, so dass sie mit ihrem Kleid um sich herum aussah, als sässe Tasse auf Untertasse.»

Lebenslust, Liebe und Wahn

Es gibt viel zu lachen in diesem Roman. Da ist zum Beispiel die Geschichte mit den Namen. Vater George gibt seiner Frau ständig neue Namen. Hortense heisst sie an einem Tag und Renée am andern. Was ihr aber nicht immer passt: «Ich habe doch nichts im Kleiderschrank, das zu Renée passt.»

Das ist komisch und verrückt. «Verrückt» im Sinne von durchgedreht, geistig verwirrt oder sogar krank. Und hier kippt die Geschichte ins Tragische. Die liebenswerte, fröhliche Mutter – Hortense, Renée oder wie auch immer – taucht immer häufiger ab in den Wahnsinn. Bis es dann – nicht ganz unerwartet – zur Katastrophe kommt.

Ernstes Thema gut verpackt

Olivier Bourdeaut verpackt ein ernstes Thema (die psychische Erkrankung einer Mutter) in eine vergnügliche Geschichte. In kurzen Kapiteln lässt er zwischendurch den Vater zu Wort kommen:

«Sie hatte es geschafft, meinem Leben einen Sinn zu geben, indem sie es in ein einziges fortwährendes Chaos verwandelte. Ihr Weg war klar, er folgte tausend Richtungen, zu Millionen Horizonten, und meine Aufgabe war es, das Chaos zu verwalten und den Takt zu schlagen, ihr die Möglichkeit zu geben, ihren Wahnsinn auszuleben und sich um nichts zu kümmern.»

Buchhinweis

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Olivier Bourdeaut: «Warten auf Bojangles». Piper, 2017.

Vom Immobilienmakler zum Erfolgsautor

Bourdeaut verzaubert einen auf nur 158 Seiten mit einer lustigen und gleichzeitig feinsinnigen Geschichte, die er in einer zarten und poetischen Sprache erzählt.

Ohne Werbekampagne hat der ehemalige Immobilienmakler mit seinem Debüt nicht nur in Frankreich einen Überraschungserfolg erzielt. Unterdessen wurde «Warten auf Bojangles» in verschiedene Sprachen übersetzt. Es ist ein Buch, das einem noch lange im Kopf bleibt.

Sendung: Radio SRF 1, BuchZeichen, 02.07.2017, 14:06 Uhr

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