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Literatur Eine nackte Frau taucht wieder auf: Bernhard Schlinks neuer Roman

Seit seinem Roman «Der Vorleser», der später mit Kate Winslet in der Hauptrolle erfolgreich verfilmt wurde, ist Bernhard Schlink ein literarischer Weltstar. Jetzt ist er mit einem neuen Roman im Gespräch: «Die Frau auf der Treppe», in dem ein Aktbild eine zentrale Rolle spielt.

Der Ich-Erzähler, ein älterer Anwalt, traut seinen Augen nicht: In Sydney begegnet er zufällig in einer Kunstgalerie einem Gemälde, das seit Jahrzehnten als verschollen gilt. Er kennt nicht nur das Bild, sondern auch die nackte Frau, die darauf zu sehen ist: Irene, seine grosse, unerfüllte Liebe.

Bücher im Literaturclub:

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Nicola Steiner, Elke Heidenreich, Thomas Strässle und Philipp Tingler diskutieren im Literaturclub über Bernhard Schlinks Roman «Die Frau auf der Treppe». Weitere Bücher, die besprochen werden, sind Richard Powers: «Orfeo», Robert Seethaler: «Ein ganzes Leben» und Jhumpa Lahiri: «Das Tiefland».

Der Anblick weckt beim Anwalt schmerzhafte Erinnerungen: Vor über 40 Jahren hatte ihn der Unternehmer Peter Gundlach in sein Haus geholt, um einen eigenartigen Deal juristisch zu begleiten; der Maler, Karl Schwind, war nach der Porträtierung von Gundlachs Ehefrau Irene mit ihr durchgebrannt; kurze Zeit später wollte er sein Kunstwerk wieder zurück und war bereit, auf die Forderung seines Auftraggebers einzugehen; dieser verlangte als Gegenleistung den Verzicht auf Irene.

Erste Spur nach vierzig Jahren

Doch die beiden Männer hatten die Rechnung ohne die Frau gemacht: Statt brav wieder zu ihrem Gatten zurückzukehren, machte sich Irene samt dem Bild aus dem Staub. Der junge Anwalt hatte ihr bei der Flucht geholfen, in der Hoffnung mit ihr ein neues Leben anzufangen. Aber auch ihn trickste sie aus und verschwand auf Nimmer-Wiedersehen.

Kein Wunder bedeutete für ihn die Entdeckung des Gemäldes am anderen Ende der Welt ein Schock: Wie ist es nach Sydney gekommen? Und wird er – dank dieser ersten Spur – auch die so heiss begehrte Frau seiner jungen Jahre wiederfinden?

«Die Frau auf der Treppe»

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Das Bild im Roman hat ein prominentes Vorbild: «Ema – Akt auf einer Treppe» von Gerhard Richter (1966). Schlink hatte es im Museum Ludwig in Köln gesehen und eine Postkarte davon auf seinem Schreibtisch positioniert. So hat sich das Bild in den Roman geschlichen – wie er selber sagt. Der Maler ist frei erfunden, ebenso das Schicksal des Gemäldes.

Die Frage nach dem lebenswerten Leben

Bernhard Schlink ist bekannt dafür, dass er immer wieder grosse, gesellschaftspolitische Themen in seinen Büchern angeht. Oft setzt er sich mit den Folgen des Dritten Reiches auseinander: Was bedeutet es für die Nachfolgegeneration, mit der Schuld der Vorfahren fertig zu werden? Er selber hat Jahrgang 1944; er kennt die Verunsicherung, die Deutschlands grausame Vergangenheit in vielen Familien ausgelöst hat.

Hier, im neuen Roman, geht es nicht um diese Nazi-Thematik. Aber einmal mehr stellt Bernhard Schlink auch hier grundsätzliche Fragen zur Diskussion: Was ist ein lebenswertes Leben? Inwiefern besteht die Liebe nur aus Projektionen? Und ist es möglich, auch im vorgerückten Alter noch aus Konventionen auszubrechen?

Ein Entwicklungsroman

Eindringlich lässt Bernhard Schlink seine Leserinnen und Leser am Schicksal des Anwalts teilnehmen: In einer knappen, präzisen Sprache und mit viel innerer Spannung treibt er die Geschichte vorwärts. Aus einem kopflastigen Juristen, der die Welt – berufsbedingt – stets nur in «gut» und «böse» hatte einteilen können, wird plötzlich ein emotionaler und liebender Mensch.

So gesehen ist dieses Buch auch ein tiefgründiger Entwicklungsroman, der – bei aller Melancholie – eine wohltuende Botschaft mit sich bringt: Es ist nie zu spät, die Weichen im Leben radikal umzustellen. Man muss nur das Herz offen halten.

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