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Literatur Er singt Wittgenstein und schreibt über finnischen Tango

M.A. Numminen gehört zu den schillerndsten Figuren Finnlands. Der 74-jährige Künstler verkörpert wie kein anderer das, was man landläufig als finnische Skurrilität bezeichnet. Eine Begegnung am Rande der Frankfurter Buchmesse.

M.A. Numminen ist ein durch und durch freundlicher Mann. Er steht in der Lobby eines Frankfurter Hotels und strahlt. Eben ist er angekommen. Der Flug aus Helsinki hat zwar Verspätung gehabt, aber egal: Das tolle Hotel, in dem er nun wohnt, und das Lachsgericht, das er sich eben bestellt hat, lassen ihn guter Laune sein. Er setzt sich an den Tisch, schaut mich an und wartet auf meine erste Frage.

Zwei Männer in Tierkostümen  mit Harmonika und Banjo.
Legende: M.A. Numminen rechts als musizierender Hase mit Banjo. Rockadilly Records/Pertti Mannelin

Numminen ist ein Hansdampf in allen Gassen. Er ist Musiker, macht Filme, schreibt Bücher und all das schon seit über 50 Jahren. Ich frage ihn, ob es denn etwas gäbe, was all das miteinander verbindet, eine zentrale Idee, die all dem zu Grude liegt. Nein, sagt er, das gäbe es nicht. Er mache einfach gerne Kunst. Und nach einer Pause fügt er an: «Doch, da gibt es was. Humor.»

Über die Philosophie zur Musik

Humor scheint tatsächlich Numminens Denken und Handeln zu prägen. Von Anfang an. Als junger Mann studiert er Philosophie. Er lernt dabei Ludwig Wittgensteins Text «Tractatus logico-philosophicus» kennen, ein zentrales Werk zur logischen Theorie und philosophischen Methode. Er findet ihn lustig. Er vertont den Text und merkt dabei, dass er komponieren kann. So wird er Komponist. Und Musiker.

Seine Musik lebt vom Humor. Aber sie bekommt eine Richtung: Sie wendet sich gegen die Verhältnisse im Land. Finnland hat in der Nachkriegszeit zwei grosse Themen: der rasante Wechsel vom Agrar- zum Industrieland und die Quasi-Abhängigkeit von der Sowjetunion. Beides wirkt sich verheerend auf Finnlands Kulturleben aus. Der Wandel zur Industrienation geht den Leuten zu schnell. Sie ziehen zwar nach Helsinki, bleiben aber Bauern. Und die ständige Bedrohung durch die Sowjetunion, ohne deren Einverständnis das einst mit den Deutschen verbündete Finnland nie und nimmer unabhängig bleiben könnte, macht die Leute übervorsichtig. In Finnland dominiert der Geist des voreilenden Gehorsams. Ein bleiernes Klima. Eine tote Zeit.

Sein Kampf gegen eine tote Zeit

Buchhinweis

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Marui Antero Numminen: «Tango ist meine Leidenschaft.» Haffmans Verlag, 2014.

Dagegen kämpft Numminen an. Mit seinem Humor und seiner Musik. Er singt sein Lied «Mit meiner Braut im Parlamentspark», in dem er den Abgeordneten empfiehlt, mehr Alkohol zu sich zu nehmen. Das Lied wird verboten und bleibt trotzdem bis heute sein erfolgreichstes und bekanntestes Stück Musik.

Später schreibt er einen Tango-Roman. Der finnische Tango ist nicht Numminens grosse Leidenschaft. Numminen ist Jazzer. Doch aus soziologischen Gründen interessiert ihn die Tangovernarrtheit seiner Landsleute. Also kniet er sich rein, schreibt sein Buch und wird zum führenden Tangokenner Finnlands.

Der Wandel in Finnlands Kultur- und Geistesgeschichte kommt an einem Tag, im Jahr 1980. Da wird im Haus der Kommunisten in Helsinki ein antikommunistisches Theaterstück aufgeführt. Die Leute sind verblüfft. Und freuen sich. Von dem Tag an, sagt Numminen, sei es aus gewesen mit dem voreilenden Gehorsam.

Mit Musik gegen die öden Songs von heute

Das heisst aber noch lange nicht, dass sich Numminens Mission jetzt erfüllt habe. Heute kämpft er mit Musik gegen Musik: Ihn stören die langweiligen Songs der jungen Musiker, die er Semipersönlichkeiten nennt. Gegen sie kämpft er an. Natürlich mit Humor. Er komponiere nun klassisch, sagt er, und mit deutschem Text. Das provoziere ganz schön!

Dann lacht er sein Numminen-Lachen und prostet mir zu. Die Tür geht auf und das Servierpersonal kommt rein. Und von da an hat er nur noch Augen für seinen Lachs.

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